Freudig und mit neuem Glauben an Gott waren Israels siegreiche Heere aus Basan zurückgekehrt. Sie hatten bereits wertvolles Gebiet gewonnen und rechneten zuversichtlich mit der bevorstehenden Eroberung Kanaans. Zwischen ihnen und dem verheißenen Lande lag nur noch der Jordan. Jenseits des Flusses war eine fruchtbare, mit frischem Grün bedeckte und aus reichen Quellen bewässerte Ebene. Üppige Palmen spendeten Schatten. Am Westrande erhoben sich die Türme und Paläste Jerichos, eingebettet in Palmenhaine, so daß man sie “Palmenstadt” (5.Mose 34,3) nannte. PP 434.1
Auch auf der Ostseite des Jordans, zwischen dem Fluß und dem hohen Tafelland, das sie gerade durchquert hatten, lag eine mehrere Kilometer breite Ebene, die sich am Fluß entlangzog. Dieses geschützte Tal hatte tropisches Klima; hier wuchs die Schittim oder Akazie, die der Ebene den Namen “Tal von Schittim” (vgl. 4.Mose 25,1) gab. In dieser Gegend schlugen die Israeliten ihr Lager auf, und die Akazienhaine am Flußufer bildeten einen angenehmen Zufluchtsort. PP 434.2
Aber mitten in dieser reizvollen Umgebung sollten sie einem Übel begegnen, das tödlicher war als mächtige, bewaffnete Heere oder die Raubtiere der Wüste. Die Einwohner hatten das Land, das so reich an natürlichen Vorzügen war, entweiht. Beim öffentlichen Baalskult, der Hauptgottheit, spielten sich ständig entwürdigende, lasterhafte Dinge ab. Überall gab es Stätten, die für ihre Abgötterei und Ausschweifung bekannt waren, und deren Namen allein schon die Schlechtigkeit und Verderbtheit des Volkes vielsagend andeuteten. PP 434.3
Diese Umgebung übte einen schlechten Einfluß auf die Israeliten aus. Sie wurden mit dem schlimmen Gedankengut vertraut, auf das sie fortwährend hingewiesen wurden; aber auch ihr bequemes, untätiges Leben hatte entsittlichende Wirkung. Ohne daß es ihnen recht bewußt wurde, wichen sie von Gott ab und gerieten in eine Verfassung, in der sie zur leichten Beute der Versuchung wurden. PP 434.4
Während sie am Jordan lagerten, bereitete Mose die Einnahme Kanaans vor. Er wurde von dieser Aufgabe voll und ganz in Anspruch genommen. Für das Volk dagegen war diese Zeit der Untätigkeit und Erwartung schwer zu ertragen; und schon nach wenigen Wochen hatte es seine Geschichte mit den erschreckendsten moralischen Verfallserscheinungen verunglimpft. PP 435.1
Anfangs bestand nur wenig Verbindung zwischen den Israeliten und ihren heidnischen Nachbarn; aber nach einiger Zeit schlichen sich midianitische Frauen ins Lager. Ihr Erscheinen verursachte zunächst keinerlei Beunruhigung, denn sie führten ihre Pläne so unauffällig aus, daß nicht einmal Mose aufmerksam wurde. Es war das Ziel dieser Frauen, Verbindung mit den Hebräern zu suchen, um sie zur Übertretung des göttlichen Gesetzes zu verleiten. Sie wollten auf ihre heidnischen Bräuche und Gewohnheiten aufmerksam machen und zur Abgötterei verführen. Dabei wurden diese Absichten sorgfältig unter dem Deckmantel der Freundschaft verborgen, so daß auch die Schutzwachen des Volkes keinen Verdacht schöpften. PP 435.2
Auf Bileams Anregung veranstaltete der König der Moabiter ein großes Fest zu Ehren ihrer Götter. Heimlich wurde verabredet, daß Bileam die Israeliten veranlassen sollte, daran teilzunehmen. Da sie ihn für einen Propheten Gottes hielten, fiel es ihm nicht schwer, seine Absicht zu erreichen. Viele schlossen sich ihm an, um die Festlichkeiten mitzuerleben. PP 435.3
Aber damit wagten sie sich auf ein von Gott verbotenes Gebiet und wurden bald in Satans Schlingen verstrickt. Bezaubert von Musik und Tanz und angelockt von der Schönheit der heidnischen Priesterinnen, brachen sie Jahwe die Treue. Bei gemeinsamer Fröhlichkeit und Schwelgerei umnebelte der Weingenuß bald ihre Sinne und riß alle Schranken der Selbstbeherrschung nieder. Leidenschaft überwältigte sie, und nachdem sie einmal ihr Gewissen durch Unzucht besudelt hatten, konnte man sie auch überreden, sich vor Götzenbildern zu beugen. Sie opferten auf heidnischen Altären und beteiligten sich an den entwürdigendsten Bräuchen. PP 435.4
Es dauerte nicht lange, bis sich das Gift wie eine tödliche Seuche im ganzen Lager ausbreitete. Sie, die ihre Feinde auf dem Schlachtfeld besiegt hätten, wurden von der List heidnischer Frauen überwunden. Das Volk schien wie verzaubert. Zu den ersten, die schuldig wurden, gehörten Oberste und führende Männer, und aus dem Volk waren es so viele, daß der Abfall allgemein wurde. “Israel hängte sich an den Baal-Peor.” 4.Mose 25,3. Als Mose schließlich aufmerksam wurde und die Gottlosigkeit wahrnahm, hatten die Anschläge der Feinde schon so weit Erfolg, daß die Israeliten nicht nur an dem zügellosen Gottesdienst am Berge Peor teilnahmen, sondern die heidnischen Riten auch schon im eigenen Lager beobachteten. Der betagte Mose war tief getroffen; Gottes Zorn aber entbrannte über die Israeliten. PP 436.1
Das lasterhafte Treiben vollbrachte an den Israeliten, was alle Zauberei Bileams nicht vermochte — es trennte sie von ihrem Gott. Aber durch schnell hereinbrechende Strafgerichte kam das Volk bald zur Besinnung und begriff die Abscheulichkeit seiner Sünde. Im Lager brach eine schreckliche Seuche aus, der Zehntausende zum Opfer fielen. Gott befahl, die Anführer des Abfalls durch die Richter umbringen zu lassen. Das geschah auf der Stelle. Die Schuldigen wurden getötet und vor den Augen ganz Israels aufgehängt, damit die Gemeinde durch diese strenge Bestrafung Gottes Abscheu vor ihrer Sünde und den Schrecken seines Zorns zutiefst erkannte. PP 436.2
Alle empfanden diese Strafe als gerecht und eilten zur Stiftshütte, um unter Tränen und in tiefer Demut ihre Sünden zu bekennen. Als sie so am Eingang vor Gott weinten, während die tödliche Seuche noch immer wütete und die Richter ihren furchtbaren Auftrag ausführten, kam Simri, einer der Edlen Israels. Dreist betrat er das Lager in Begleitung einer midianitischen Hure, einer Prinzessin “des Hauptes eines Geschlechtes unter den Midianitern” (4.Mose 25,15), und führte sie in sein Zelt. Nie zuvor hatte sich die Verderbtheit so schamlos und verstockt gezeigt. Vom Wein erhitzt, verglich Simri seine Sünde mit der zu Sodom und rühmte sich dieser Schande noch. Priester und Führerschaft lagen in Schmerz und Demütigung hingestreckt am Boden und weinten zwischen Vorhof und Altar. Vgl. Joel 2,17. Sie baten den Herrn, das Volk zu schonen und sein Erbteil nicht der Schmach preiszugeben, während dieser Fürst in Israel vor den Augen der Gemeinde mit der Untat angab, als wolle er Gottes Rache geradezu herausfordern und die Richter verspotten. Da erhob sich Pinhas, der Sohn des Hohenpriesters Eleasar. Er trat aus der Versammlung heraus, griff nach einem Spieß “und ging dem israelitischen Mann nach in die Kammer” (4.Mose 25,8) und tötete beide. Damit wurde der Seuche Einhalt geboten. Dem Priester aber, der das göttliche Urteil vollstreckte, wurde in Gegenwart des ganzen Volkes Ehre erwiesen und das Priestertum ihm und seinem Hause für immer bestätigt. PP 436.3
“Pinhas hat meinen Grimm von den Kindern Israel gewendet”, lautete die göttliche Botschaft. “Darum sage: Siehe, ich gebe ihm meinen Bund des Friedens, und dieser Bund soll ihm und seinen Nachkommen das ewige Priestertum zuteilen, weil er für seinen Gott geeifert und für die Kinder Israel Sühne geschafft hat.” 4.Mose 25,11-13. PP 437.1
Das bei Schittim über Israel verhängte Strafgericht vernichtete alle Überlebenden jener großen Schar, die vor beinahe vierzig Jahren das Urteil heraufbeschworen hatten: “In dieser Wüste sollen sie aufgerieben werden und dort sterben.” 4.Mose 14,35. Die von Gott angeordnete Volkszählung, während sie noch in der Jordanebene lagerten, zeigte, daß unter den Israeliten keiner mehr war “von denen aus Israel, die Mose und Aaron, der Priester, gezählt hatten in der Wüste Sinai ... Und so blieb keiner von ihnen übrig als Kaleb, der Sohn Jephunnes, und Josua, der Sohn Nuns.” 4.Mose 26,64.65. PP 437.2
Gott ließ Strafgerichte über Israel kommen, weil es den Verlockungen der Midianiter nachgegeben hatte; aber auch die Versucher sollten dem Zorn der göttlichen Gerechtigkeit nicht entrinnen. Die Amalekiter, die Israel bei Raphidim angegriffen hatten und über die schwachen, müden Nachzügler hergefallen waren, wurden erst später bestraft; die Midianiter jedoch, die das Volk zur Sünde verführten, mußten als die gefährlicheren Feinde Gottes Gericht unverzüglich zu spüren bekommen. “Übe Rache für die Kinder Israel an den Midianitern”, lautete Gottes Befehl an Mose, “und danach sollst du versammelt werden zu deinen Vätern.” 4.Mose 31,2. Er führte diesen Auftrag sofort aus. Von jedem Stamm wurden tausend Mann erwählt und unter der Führung von Pinhas ausgesandt. “Sie zogen aus zum Kampf gegen die Midianiter, wie der Herr es Mose geboten hatte, und töteten alles, was männlich war. Samt diesen Erschlagenen töteten sie auch ... die fünf Könige der Midianiter. Auch Bileam, den Sohn Beors, töteten sie mit dem Schwert.” 4.Mose 31,7.8. Ferner wurden auf Moses Befehl die Frauen umgebracht, die das angreifende Heer gefangennahm. Sie waren ja die Hauptschuldigen und zugleich die heimtückischsten Feinde Israels. PP 437.3
So endeten alle, die Böses gegen Gottes Volk im Schilde führten. Der Psalmist sagt: “Die Heiden sind versunken in der Grube, die sie gegraben, ihr Fuß ist gefangen im Netz, das sie gestellt hatten.” Psalm 9,16. “Der Herr wird sein Volk nicht verstoßen noch sein Erbe verlassen. Denn Recht muß doch Recht bleiben, und ihm werden alle frommen Herzen zufallen. Sie rotten sich zusammen wider den Gerechten ..., aber der Herr wird ihnen ihr Unrecht vergelten und sie um ihrer Bosheit willen vertilgen.” Psalm 94,14.15.21-23. PP 438.1
Als man Bileam rief, um den Hebräern zu fluchen, konnte er mit allen seinen Zauberformeln nichts Böses gegen sie ausrichten, denn der Herr sah “kein Unheil ... und kein Verderben in Israel”. 4.Mose 23,21. Aber als sie der Versuchung erlagen und Gottes Gesetz übertraten, wich ihr Schutz von ihnen. Ist Gottes Volk seinen Geboten treu, gibt es “kein Zaubern in Jakob und kein Wahrsagen in Israel”. 4.Mose 23,23. Deshalb versucht Satan auch mit aller Macht und Arglist, es zur Sünde zu verführen. Wenn die angeblichen Hüter des göttlichen Gesetzes dessen Vorschriften übertreten, trennen sie sich damit von Gott und können ihren Feinden nicht mehr widerstehen. PP 438.2
Die Israeliten, die zunächst weder durch Waffen noch durch die Zauberkünste Midians zu überwinden waren, wurden die Beute seiner Dirnen. Die Macht einer solchen Frau im Dienste Satans ist so groß, daß sie Menschen verführt, um sie zugrunde zu richten. “Denn zahlreich sind die Erschlagenen, die sie gefällt hat, und viele sind, die sie getötet hat.” Sprüche 7,26. In dieser Weise wurden Seths Kinder um ihre Unbescholtenheit gebracht und das bis dahin heilige Geschlecht verdorben. Auf diese Art wurde Joseph versucht, und so verriet Simson seine Stärke, Israels Schutz, den Philistern. Deswegen strauchelte auch David. Sogar Salomo, der weiseste der Könige und von Gott geliebt, wurde auf diese Weise zum Sklaven der Leidenschaft und verlor durch diese Zaubermacht seine Reinheit. PP 438.3
“Solches widerfuhr jenen als ein Vorbild. Es ist aber geschrieben uns zur Warnung, auf welche das Ende der Welt gekommen ist. Darum, wer sich läßt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle.” 1.Korinther 10,11.12. PP 438.4
Satan kennt das menschliche Herz gut. Er weiß um die verwundbarsten Stellen in jedem Charakter, denn er hat sie jahrtausendelang mit boshafter Gründlichkeit erforscht. Und bei den späteren Geschlechtern gelang es ihm, die stärksten Männer, Fürsten in Israel, mit denselben Versuchungen zu Fall zu bringen, mit denen er bei Baal-Peor Erfolg hatte. In allen Jahrhunderten gab es charakterliches Strandgut, das an den Klippen der sinnlichen Leidenschaft scheiterte. Da wir uns dem Ende der Zeit nähern und das Volk Gottes an der Grenze des himmlischen Kanaans steht, wird Satan wie vor alters seine Anstrengungen verdoppeln, um es am Einzug in das verheißene Land zu hindern. Er legt seine Schlingen nach allen Menschen aus. Nicht nur die Unwissenden und weniger Gebildeten müssen auf der Hut sein; er wird seine Versuchungen gerade auf die Höchstgestellten im geistlichen Amt richten. Kann er sie zur Unreinheit verführen, gelingt es ihm, wiederum durch sie viele andere zugrunde zu richten. Und er wendet heute dieselben Mittel an wie vor drei Jahrtausenden. Durch weltliche Freundschaften, den Zauber der Schönheit, durch Vergnügungssucht, mit ausgelassener Fröhlichkeit bei Wein und Festgelagen verleitet er zur Übertretung des siebenten Gebots. PP 439.1
Satan verführte Israel als erstes zur Zügellosigkeit, dann zum Götzendienst. Wer Gottes Ebenbild entehrt und seinen Tempel entweiht, den er selbst darstellt, wird auch nicht davor zurückschrecken, Gott auf irgendeine Art Schande zu bereiten, wenn es um die Wünsche seines sittlich verdorbenen Herzens geht. Übermäßige Triebhaftigkeit schwächt den Willen und das feine seeliche Empfinden. Die geistigen und sittlichen Kräfte stumpfen ab und werden lahmgelegt, wenn man animalischen Neigungen immer nachgibt. Solchem Sklaven seiner Leidenschaft ist es unmöglich, die heiligen Verpflichtungen des göttlichen Gesetzes zu erkennen. Wie könnte er Verständnis für die Bekehrung haben oder dem Seelenleben den rechten Wert beimessen? Güte, Reinheit und Aufrichtigkeit, Ehrfurcht vor Gott und Liebe zu geistlichen Dingen — alle diese edlen Eigenschaften und Bestrebungen, des Menschen Bindeglied zum Himmelreich, werden oft im Feuer der Sinneslust verzehrt. Aber am Ende ist die Seele doch verzweifelt und innerlich leer, zur Wohnstätte böser Geister geworden und ein “Gefängnis aller unreinen und verhaßten Vögel”. Offenbarung 18,2. Nach dem Ebenbilde Gottes geschaffene Wesen ließen sich auf eine Ebene mit dem unvernünftigen Tier herabziehen. PP 439.2
Durch die Gemeinschaft mit Götzendienern und ihre Beteiligung an deren Festen begannen die Hebräer, das Gesetz Gottes zu übertreten. Und das löste die Strafgerichte über sie als Volk aus. So ist es noch heute; wenn Satan Christi Nachfolger zum Umgang mit Ungläubigen veranlassen und zur Teilnahme an deren Vergnügungen verführen kann, gelingt es ihm meistens auch, sie zur Sünde zu verlocken. “Gehet aus von ihnen und sondert euch ab”, spricht der Herr; “und rühret kein Unreines an.” 2.Korinther 6,17. Gott verlangt auch heute noch von seinem Volk, daß es sich in Gewohnheiten und Grundsätzen von der Welt unterscheidet wie Israel vor alters. Wenn es sich gewissenhaft an die Belehrungen aus seinem Wort hält, wird der Unterschied sichtbar werden; das kann gar nicht anders sein. Die Hebräer wurden unmißverständlich vor der Vermischung mit den Heiden gewarnt und ebenso die Christen, sich dem Geist und den Gewohnheiten der Gottlosen anzupassen. Christus rät uns: “Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. So jemand die Welt liebhat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.” 1.Johannes 2,15. — “Wisset ihr nicht, daß der Welt Freundschaft Gottes Feindschaft ist?” Jakobus 4,4. Christi Nachfolger sollen sich von Weltmenschen trennen und deren Gemeinschaft nur suchen, wenn sich Gelegenheit bietet, ihnen Gutes zu tun. Wir können gar nicht entschieden genug dem Zusammensein mit denen ausweichen, die uns durch ihren Einfluß von Gott hinwegziehen. Wenn wir beten “Führe uns nicht in Versuchung” (Matthäus 6,13), müssen wir auch jede Versuchung so weit wie möglich meiden. PP 440.1
Gerade in einer Zeit äußerer Ruhe und Sicherheit kamen die Israeliten zu Fall. Sie hatten Gott nicht immer vor Augen, vernachlässigten das Gebetsleben und waren dabei noch recht selbstzufrieden. Muße und Sichgehenlassen machten unachtsam, und damit fanden erniedrigende Gedanken bei ihnen Eingang. Verräter aus den eigenen Reihen waren es, die ihre festgefügten Grundsätze einrissen und Israel satanischen Mächten auslieferten. Auf diese Weise versucht Satan noch immer, den Menschen vollends zu verderben. Ehe ein Christ offen sündigt, geht meistens, von der Welt unbeobachtet, ein langer Vorbereitungsprozeß in seinem Innern vor sich. Die Gesinnung wandelt sich ja nicht auf einmal von Reinheit und Heiligkeit zu Gottlosigkeit, Verdorbenheit und Verbrechertum. Um die nach Gottes Ebenbild Geschaffenen entarten zu lassen bis zur Freude am Bösen und an der Gewalttätigkeit, braucht es seine Zeit. Durch Anschauen werden wir verwandelt. Wer unreinen Gedanken nachhängt, kann sich schließlich so verändern, daß er an der Sünde, die er einst verabscheute, Gefallen findet. PP 440.2
Satan ist jedes Mittel recht, Laster und Schlechtigkeiten volkstümlich zu machen. Man kann doch kaum durch die Straßen unserer Städte gehen, ohne auffallende Hinweise auf Verbrechen in Romanen oder Theaterstücken zu finden. Der Mensch wird geradezu mit dem Schlechten vertraut gemacht. Die heutigen Zeitschriften führen Niedriges und Gemeines andauernd vor Augen; alles, was irgendwie Leidenschaft erregen könnte, wird in aufregenden Geschichten veröffentlicht. Die Leute hören und lesen soviel über entwürdigendes Verbrechertum, daß ein ehemals feines Empfinden, das vor solchen Bildern mit Entsetzen zurückgeschreckt wäre, abgestumpft wird und man sich begierig für diese Dinge zu interessieren beginnt. PP 441.1
Viele der heute volkstümlichen Vergnügungen sind auch bei vorgeblichen Christen beliebt und zielen doch auf das gleiche Ende ab wie damals bei den Heiden. Es gibt tatsächlich nur wenige solcher Vergnügungen, die nicht von Satan benutzt werden, um Menschen zu verderben. Er hat in der Vergangenheit unaufhörlich dazu beigetragen, Leidenschaften zu wecken und Laster zu verherrlichen. Theateraufführungen mit übermäßiger Aufmachung und geradezu verwirrender Musik, Maskenbälle, Tanz und Spiel gebraucht Satan, um moralische Grundsätze umzustoßen und der Zügellosigkeit Tür und Tor zu öffnen. Mit jedem Vergnügen, bei dem die Eitelkeit unterstützt wird oder Schlemmerei üblich ist, bei dem man Gott vergißt und Ewigkeitswerte aus dem Auge verliert, fesselt Satan den Menschen. PP 441.2
“Behüte dein Herz mit allem Fleiß”, rät der weise Mann, “denn daraus quillt das Leben.” Sprüche 4,23. — “Denn wie er [der Neidische] es abmißt in seiner Seele, so ist er.” Sprüche 23,7. Das Herz muß durch die Gnade Gottes eine Erneuerung erfahren, oder es strebt vergeblich nach Reinheit des Lebens. Wer einen anständigen, sauberen Charakter ohne die Gnade Christi bilden will, baut sein Haus auf Flugsand. In den heftigen Stürmen der Anfechtung wird es ganz bestimmt einstürzen. Wie David sollte jeder Gläubige beten: “Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist.” Psalm 51,12. Sind wir Teilhaber der himmlischen Gnadengaben geworden, heißt es, zur Vollkommenheit hin zu wachsen, “aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt”. 1.Petrus 1,5. PP 441.3
Doch müssen wir auch selbst etwas dazu tun, um der Versuchung zu widerstehen. Wer den satanischen Anschlägen nicht zum Opfer fallen will, muß die Zugänge zu seinem Innenleben gut hüten. Alles, was unreine Gedanken wecken könnte, muß er beim Lesen, Sehen oder Hören unbedingt meiden. Man sollte die Gedanken nicht ziellos umherschweifen und auf alle Anregungen eingehen lassen, die der Widersacher den Menschen einflüstert. “Begürtet die Lenden eures Gemütes”, sagt der Apostel Petrus, “seid nüchtern ... bleibt nicht bei dem, was vormals war, da ihr in Unwissenheit nach den Lüsten lebtet; sondern wie der, der euch berufen hat und heilig ist, seid auch ihr heilig in allem eurem Wandel!” 1.Petrus 1,13-15. Paulus sagt: “Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was rein, was lieblich, was wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach!” Philipper 4,8. Das erfordert ernstes Gebet und unaufhörliche Wachsamkeit. Außerdem muß uns ständig der Einfluß des Heiligen Geistes zu Hilfe kommen. Er wird die Sinne nach oben richten und sie daran gewöhnen, sich mit reinen, heiligen Dingen zu beschäftigen. Dazu sollten wir fleißig im Wort Gottes lesen. “Wie wird ein junger Mann seinen Weg unsträflich gehen? Wenn er sich hält an deine Worte ... Ich behalte dein Wort in meinem Herzen”, sagt der Psalmist, “damit ich nicht wider dich sündige.” Psalm 119,9.11. PP 442.1
Israels Sünde bei Baal-Peor brachte Gottes Strafgerichte über das Volk. Wenn dieselben Sünden heute auch nicht sofort bestraft werden, ihre Vergeltung werden sie gewiß finden. “Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben.” 1.Korinther 3,17. Naturgemäß sind mit solchem Frevel schlimme Strafen verbunden, die früher oder später jeden Schuldigen einmal treffen. Gerade diese Sünden sind mehr als alles andere Ursache der unglaublichen Entartung unseres Geschlechts sowie der schweren Krankheiten und des Elends, unter deren Fluch die Welt leidet. Viele Menschen mögen ihre Fehltritte vor den Mitmenschen verbergen können; aber ganz sicher müssen sie die Folgen tragen, die oft mit mancherlei Leiden und Übeln, Geisteskrankheiten und schließlich dem Tod verbunden sind. Und nach einem solchen Leben kommt das Gericht mit dem Urteilsspruch ewiger Strafen. “Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben” (Galater 5,21), sondern mit Satan und den bösen Engeln ihren Teil haben im “feurigen Pfuhl”, welcher auch “der zweite Tod” genannt wird. Offenbarung 20,14. PP 442.2
“Die Lippen der fremden Frau sind süß wie Honigseim, und ihre Kehle ist glatter als Öl, hernach aber ist sie bitter wie Wermut und scharf wie ein zweischneidiges Schwert ... Laß deine Wege ferne von ihr sein und nahe nicht zur Tür ihres Hauses, daß du nicht andern gebest deine Kraft und deine Jahre einem Unbarmherzigen; daß sich nicht Fremde von deinem Vermögen sättigen und, was du mühsam erworben, nicht komme in eines andern Haus, und müssest hernach seufzen, wenn dir Leib und Leben vergehen.” Sprüche 5,3.4.8-11. — “Ihr Haus neigt sich zum Tode ... Alle, die zu ihr eingehen, kommen nicht wieder.” Sprüche 2,18.19. — “Ihre Gäste hausen in der Tiefe des Todes.” Sprüche 9,18. PP 443.1