Nachdem David den Goliath erschlagen hatte, behielt ihn Saul bei sich; er wollte ihn nicht in sein Vaterhaus zurückgehen lassen. Und es “verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids, und Jonathan gewann ihn lieb wie sein eigenes Herz”. Jonathan und David schlossen einen Bruderbund, und der Königssohn “zog seinen Rock aus, den er anhatte, und gab ihn David, dazu seine Rüstung, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gurt”. David wurde mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut, doch auch dabei blieb er bescheiden und erwarb sich die Zuneigung des ganzen Volkes und des königlichen Hofes. PP 630.1
“David zog in den Kampf und richtete alles recht aus, wohin Saul ihn auch sandte. Und Saul setzte ihn über die Kriegsleute.” 1.Samuel 18,1-5. David war umsichtig und gewissenhaft, und Gottes Segen war offensichtlich mit ihm. Zeitweise erkannte Saul seine Unfähigkeit, Israel zu regieren, und er ahnte, daß sein Königtum sicherer war, wenn er jemanden um sich hatte, der Unterweisungen vom Herrn empfing. Er erhoffte damit auch für sich selbst Sicherheit. David lebte unter Gottes Gnade und Schirm, seine Nähe konnte daher auch Saul schützen, wenn sie gemeinsam in den Krieg zogen. PP 630.2
Gottes Vorsehung hatte David mit Saul zusammengeführt. Davids Stellung am Hofe vermittelte ihm Kenntnisse über die Staatsgeschäfte und bereitete ihn so für sein künftiges hohes Amt vor. Sie ermöglichte es ihm, das Vertrauen des Volkes zu gewinnen. Das Unrecht und die Schwierigkeiten, die ihm aus Sauls Feindschaft erwuchsen, ließen ihn so recht seine Abhängigkeit von Gott empfinden und seine Zuversicht auf ihn setzen. Aber auch die Freundschaft Jonathans mit David entsprach der Fügung Gottes; sie rettete dem künftigen Herrscher das Leben. In allen diesen Dingen verwirklichte Gott seine gnädigen Absichten mit David und dem Volke Israel. PP 630.3
Doch Saul blieb nicht lange freundlich zu David. Als sie beide aus der Philisterschlacht heimkehrten, geschah es, “daß die Frauen aus allen Städten Israels herausgingen mit Gesang und Reigen dem König Saul entgegen unter Jauchzen, mit Pauken und mit Zimbeln”. Eine Gruppe sang: “Saul hat tausend erschlagen”, eine andere nahm die Weise auf und antwortete: “aber David zehntausend”. Da ergriff dämonische Eifersucht das Herz des Königs. Er wurde böse, weil Israels Frauen in ihrem Lied David über ihn stellten. Statt diese Neidgefühle zu unterdrücken, offenbarte er seine ganze Charakterschwäche mit den Worten: “Sie haben David zehntausend gegeben und mir tausend; ihm wird noch das Königtum zufallen.” 1.Samuel 18,6-8. PP 631.1
Ein schwerer Charakterfehler Sauls war sein Verlangen nach Beifall. Dieser Zug beeinflußte sein gesamtes Denken und Handeln. Alles und jedes wurde von dem Wunsch nach Lob und von seiner Überheblichkeit bestimmt. Sein Maßstab für Recht und Unrecht hing von der niedrigen Währung der Volksgunst ab. Aber niemand kann sich sicher fühlen, der nur den Menschen gefallen will und nicht vor allem Gottes Bestätigung sucht. Saul hatte den Ehrgeiz, in der Wertschätzung der Menschen der erste zu sein. Als nun dieses Loblied gesungen wurde, setzte sich beim König die Überzeugung fest, David könnte die Herzen des Volkes gewinnen und regieren an seiner Statt. PP 631.2
Saul gab der Eifersucht Raum und vergiftete dadurch seine Seele. Der Prophet Samuel hatte ihm erklärt, Gott tue, was er wolle, und niemand könne ihn daran hindern. Trotzdem zeigte es sich, daß der König keine richtige Erkenntnis über die Pläne oder die Kraft Gottes besaß. Er setzte seinen Willen dem des Unendlichen entgegen. Solange Saul Israel regierte, hatte er nicht gelernt, sich selbst in der Gewalt zu haben. Er ließ sich in seinem Urteil ganz und gar von seinen Gefühlen beherrschen, bis er in rasende Leidenschaft versank. Er bekam Wutanfälle, in denen er fähig war, jedem das Leben zu nehmen, der ihm zu widersprechen wagte. Aus seiner Tobsucht verfiel er wiederum in Verzweiflung und Selbstverachtung; Gewissensbisse plagten ihn. PP 631.3
Er hörte David gern auf seiner Harfe spielen; der böse Geist schien dann eine Zeitlang von ihm zu weichen. Aber als der junge Mann eines Tages wiederum seinem Instrument wohlklingende Melodien entlockte und dazu das Lob Gottes sang, schleuderte Saul plötzlich seinen Speer nach ihm, um ihn zu töten. David blieb durch Gottes Eingreifen bewahrt und entkam unverletzt der Wut des rasenden Königs. PP 631.4
Je mehr Sauls Haß gegen David wuchs, desto eifriger suchte er nach einer Gelegenheit, ihn umzubringen. Aber jeder Plan gegen den Gesalbten des Herrn mißlang. Saul überließ sich ganz und gar dem Einfluß des bösen Geistes, der ihn beherrschte. David dagegen vertraute dem, der mächtig von Rat und ein starker Retter ist. “Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn.” Sprüche 9,10. Seine anhaltende Bitte zu Gott war, daß er vollkommen vor ihm wandeln möge. PP 632.1
Um von der Gegenwart seines Nebenbuhlers befreit zu sein, “entfernte ihn Saul aus seiner Nähe und setzte ihn zum Obersten über tausend Mann ... Aber ganz Israel und Juda hatte David lieb.” 1.Samuel 18,13.16. Das Volk erkannte sehr bald in David eine zuverlässige Persönlichkeit, die alle ihm übertragenen Angelegenheiten klug und geschickt erledigte. Die Ratschläge des jungen Mannes waren verständig und wohlüberlegt, und man tat gut daran, ihnen zu folgen. Dagegen war Sauls Rechtspflege zeitweise unzuverlässig, und seine Entscheidungen waren geradezu töricht. PP 632.2
Obwohl Saul immer auf eine günstige Gelegenheit wartete, David zu vernichten, fürchtete er ihn andererseits, weil ganz offensichtlich der Herr mit ihm war. Davids untadeliger Charakter reizte des Königs Zorn. Er empfand schon dessen Leben und Anwesenheit als einen Vorwurf, da ein Vergleich zu seinem Nachteil ausfiel. Neid machte Saul zu einem erbärmlichen Menschen und brachte seine Untergebenen in Gefahr. Wieviel Unheil hat doch dieser Wesenszug in unsrer Welt schon angerichtet! Dieselbe Feindseligkeit wie in Sauls Herzen lebte auch in Kain gegen seinen Bruder Abel, dessen Werke gerecht waren. Ihn nahm Gott an. Kains Werke dagegen waren böse. Deshalb konnte der Herr ihn nicht segnen. Neid ist ein Kind des Stolzes; nährt man ihn im Herzen, führt das schließlich zu Haß, Rachsucht und Mord. Satans Wesen zeigte sich, als er Sauls Wut gegen jemanden erregte, der ihm nie etwas zuleide getan hatte. PP 632.3
Der König beobachtete David sehr genau in der Hoffnung, eines Tages Unbesonnenheit oder Übereilung bei ihm feststellen zu können; dann hätte er endlich einen Vorwand gehabt, ihn in Ungnade fallen zu lassen. Ihm war, als könne er nicht eher ruhen, bis er den jungen Mann beseitigt hatte, dabei aber für seine Untat gerechtfertigt vor dem Volk dastand. Er legte David eine Schlinge, indem er ihn drängte, den Krieg gegen die Philister mit noch größerem Nachdruck zu führen. Zur Belohnung versprach er ihm die Heirat mit seiner ältesten Tochter. Auf diesen Vorschlag antwortete David bescheiden: “Wer bin ich? Und was ist meine Sippe, das Geschlecht meines Vaters, in Israel, daß ich des Königs Schwiegersohn werden soll?” 1.Samuel 18,18. Der Monarch bewies seine ganze Unaufrichtigkeit, als er die Prinzessin einem andern Mann gab. PP 632.4
Aber Michal, Sauls jüngste Tochter, hatte David gern, und das gab dem König erneut Gelegenheit, gegen seinen Nebenbuhler Ränke zu schmieden. Jetzt bot er ihm Michals Hand an unter der Bedingung, daß er ihm den Beweis für den Tod einer bestimmten Zahl ihrer Erzfeinde brächte. “Aber Saul trachtete danach, David umzubringen durch die Hände der Philister.” Gott schützte seinen Diener auch hierbei. Er kehrte als Sieger aus der Schlacht zurück und wurde des Königs Schwiegersohn. “Michal, Sauls Tochter, hatte David lieb” (1.Samuel 18,20.25), und der verärgerte Monarch mußte erkennen, daß sein Anschlag das Gegenteil bewirkte: Er ließ den aufsteigen, den er vernichten wollte. Ihm wurde noch gewisser, daß dies der Mann war, von dem der Herr gesagt hatte, er sei besser als Saul, und der Israel an seiner Statt regieren sollte. Nun ließ er die Maske fallen und befahl Jonathan und den Offizieren am Hofe, den Verhaßten zu töten. PP 633.1
Doch Jonathan verriet es David und hieß ihn, sich zu verbergen, während er selbst seinen Vater dringend bitten wollte, Israels Befreier zu schonen. Er hielt dem König alles vor, was David zum Ruhme und sogar zur Erhaltung des Volkes getan hatte und welch furchtbare Schuld sein Mörder auf sich lüde. Das traf den König im Gewissen, und er beruhigte sich allmählich. “Da hörte Saul auf die Stimme Jonathans und schwor: So wahr der Herr lebt: er soll nicht sterben!” 1.Samuel 19,6. Und David diente wieder vor ihm wie früher. PP 633.2
Erneut brach Krieg zwischen Israel und den Philistern aus, und David befehligte das Heer gegen die Feinde. Die Hebräer errangen einen überlegenen Sieg, und das Volk rühmte Davids Klugheit und Tapferkeit. Da regte sich Sauls alte Bitterkeit wiederum. Als nun der junge David vor ihm auf der Harfe spielte und den Palast mit wohlklingenden Melodien erfüllte, übermannte den König die Wut. Er schleuderte einen Speer nach David, um ihn an die Wand zu spießen. Aber der Engel des Herrn wandte die tödliche Waffe ab. David entkam und floh in sein Haus. Saul entsandte Späher, die ihn greifen und töten sollten, wenn er am Morgen herauskäme. PP 633.3
Michal setzte David sofort von der Absicht ihres Vaters in Kenntnis. Sie drängte ihn zur Flucht und ließ ihn aus dem Fenster herab, so daß er entkam. Er entwich zu Samuel nach Rama. Der Prophet fürchtete sich nicht vor dem Unwillen des Königs und nahm ihn freundlich auf. Welch friedliche Stätte war Samuels Heim im Gegensatz zum königlichen Palast! Hier, inmitten der Berge, setzte der verdiente Knecht Gottes seine Tätigkeit fort. Mehrere Propheten lebten bei ihm, die seinen Worten ehrerbietig lauschten und eifrig den Willen Gottes erforschten. Auch David empfing wertvolle Hinweise von dem Lehrer Israels. Er meinte, Saul werde seinen Kriegern nie befehlen, in diesen geweihten Bezirk einzudringen. Aber dem umnachteten Geist des verzweifelten Königs schien kein Platz mehr heilig zu sein. Davids Verbindung mit Samuel erregte des Königs Argwohn. Konnte es nicht sein, daß der im ganzen Volk als Prophet Gottes verehrte Mann seinen Einfluß für das Emporkommen des Nebenbuhlers geltend machte? Als bekannt wurde, wo sich David aufhielt, gingen Boten dorthin ab, um ihn nach Gibea zu holen, wo Saul seine mörderischen Pläne auszuführen gedachte. PP 634.1
Sie machten sich in der Absicht auf den Weg, David umzubringen; aber ein Größerer als Saul hinderte sie daran. Unsichtbare Engel traten ihnen entgegen wie einst Bileam, als er Israel fluchen wollte. Sie fingen an zu weissagen von dem, was in der Zukunft geschehen würde, und verkündeten den Ruhm und die Majestät Jahwes. So wandte Gott menschlichen Zorn ab und offenbarte damit seine Macht, dem Bösen Einhalt zu gebieten. Er umgab seinen Diener mit schützenden Engeln. PP 634.2
Diese Nachricht erreichte Saul, während er begierig darauf wartete, David in seine Gewalt zu bekommen. Aber statt Gottes Zurechtweisung herauszuspüren, wurde er noch gereizter und schickte andere Boten aus. Doch auch sie wurden vom Geist Gottes überwältigt, und sie weissagten gemeinsam mit den ersten. Da sandte der König eine dritte Gruppe aus; aber sie erlebte in der Gemeinschaft des Propheten das gleiche. Nun machte sich Saul selbst auf. Er konnte seinen grimmigen Haß nicht länger bezähmen. Er wollte auf keine andere Gelegenheit warten, David zu töten, sondern ihn, sobald er seiner habhaft würde, mit eigener Hand umbringen, gleichviel, welche Folgen es haben würde. PP 634.3
Aber das verhütete ein Engel, der ihm auf dem Wege begegnete. Der Geist Gottes kam mit Macht über ihn, so daß Saul im Weitergehen betete, weissagte und geistliche Lieder sang. Er prophezeite das Kommen des Messias als des Erlösers der Welt. Am Hause des Propheten in Rama angekommen, legte er das Obergewand, das Zeichen seiner Würde, ab und saß unter dem Einfluß des göttlichen Geistes einen ganzen Tag und die ganze Nacht vor Samuel und dessen Schülern. Die Leute liefen zusammen, um das seltsame Bild zu sehen, und erzählten weit und breit, was der König erlebt hatte. So kam gegen Ende seiner Regierung noch einmal das Sprichwort in Israel auf: “Ist Saul auch unter den Propheten?” 1.Samuel 19,24. PP 635.1
Wiederum war die Absicht des Verfolgers vereitelt. Er sicherte David zu, Frieden mit ihm halten zu wollen; aber David hatte wenig Zutrauen zur Reue des Königs. Er benutzte die Gelegenheit zur Flucht, ehe Saul — wie schon früher — andern Sinnes wurde. Wunden Herzens sehnte er sich nach einem Wiedersehen mit seinem Freund Jonathan. Im Bewußtsein seiner Unschuld suchte er den Sohn des Königs auf und klagte in ergreifender Weise: “Was hab ich getan? Was ist meine Schuld? Was hab ich gesündigt vor deinem Vater, daß er mir nach dem Leben trachtet?” Jonathan war der festen Überzeugung, sein Vater habe seinen Plan inzwischen aufgegeben und trachte David nicht mehr nach dem Leben. Darum sagte er zu ihm: “Das sei ferne; du sollst nicht sterben. Siehe, mein Vater tut nichts, weder Großes noch Kleines, ohne es mir kundzutun. Warum sollte denn mein Vater dies vor mir verbergen? Es ist nicht so.” Nachdem sein Vater die Kraft Gottes so auffallend an sich erfahren hatte, mochte Jonathan nicht glauben, daß er David noch immer Leid zufügen wolle; das wäre Empörung gegen Gott. Aber David ließ sich nicht überzeugen. Mit eindringlichem Ernst erklärte er Jonathan: “So wahr der Herr lebt und so wahr du lebst: es ist nur ein Schritt zwischen mir und dem Tode!” 1.Samuel 20,1-3. PP 635.2
Zur Neumondszeit gab es in Israel stets ein feierliches Fest. Diesmal fiel es auf den Tag nach der Unterredung zwischen David und Jonathan, die beide an der Tafel des Königs erwartet wurden. Aber David fürchtete sich davor, und so verabredeten sie, daß er seine Brüder in Bethlehem besuchte. Nach seiner Rückkehr sollte er sich auf dem Felde nicht weit von der Festhalle verborgen halten und der Gegenwart des Königs drei Tage fernbleiben. Jonathan wollte die Wirkung auf Saul beobachten. Falls der König fragte, wo sich Isais Sohn aufhielte, sollte Jonathan sagen, er sei zu seinem Vater gegangen, um dort dem Opferfest beizuwohnen. Verriet der König keinerlei Ärger, sondern sagte: “Es ist recht” (1.Samuel 20,7), konnte David beruhigt an den Hof zurückkehren. Wenn er aber über seine Abwesenheit in Zorn geriet, mußte David fliehen. PP 635.3
Am ersten Festtage übersah der König Davids Abwesenheit. Als aber sein Platz auch am zweiten Tage leer blieb, forschte er: “Warum ist der Sohn Isais nicht zu Tisch gekommen, weder gestern noch heute?” Jonathan antwortete: “Er bat mich sehr, daß er nach Bethlehem gehen dürfe, und sprach: Laß mich hingehen, denn unser Geschlecht hat zu opfern in der Stadt, und mein Bruder hat mir’s selbst geboten. Hab ich nun Gnade vor deinen Augen gefunden, so laß mich hingehen und meine Brüder sehen. Darum ist er nicht zum Tisch des Königs gekommen.” 1.Samuel 20,27-29. Als Saul das hörte, geriet er in unbändigen Zorn und behauptete, so lange David lebe, könne Jonathan den Thron in Israel nicht besteigen. Er befahl, sofort nach David zu schicken, um ihn zu töten. Wieder trat Jonathan bittend für seinen Freund ein: “Warum soll er sterben? Was hat er getan?” 1.Samuel 20,32. Diese Fragen versetzten den König geradezu in satanische Wut, und er schleuderte den für David bestimmten Speer auf seinen eigenen Sohn. PP 636.1
Höchst erregt und zugleich bekümmert verließ der Prinz die königliche Tafel und nahm nicht länger am Fest teil. Er war schwer bedrückt, als er David zur festgesetzten Zeit in seinem Versteck aufsuchte, um ihn über des Königs Gesinnung gegen ihn aufzuklären. Sie fielen einander um den Hals und weinten bitterlich. Die finstere Leidenschaft des Monarchen überschattete das Leben der beiden jungen Männer; sie fanden kaum Worte in ihrem Schmerz. Das letzte, was David von Jonathan hörte, ehe sich ihre Wege trennten, war: “Geh hin mit Frieden! Für das, was wir beide geschworen haben im Namen des Herrn, dafür stehe der Herr zwischen mir und dir, zwischen meinen Nachkommen und deinen Nachkommen in Ewigkeit.” 1.Samuel 20,42. PP 636.2
Der Königssohn kehrte nach Gibea zurück, David aber eilte nach Nob, einer Stadt Benjamins, die nur wenige Kilometer von Gibea entfernt war. Hierher hatte man die Stiftshütte von Silo gebracht; Ahimelech war Hoherpriester. David wußte nicht, wo er sonst Zuflucht finden konnte, wenn nicht bei dem Diener Gottes. Dieser war erstaunt, als David so eilig und offensichtlich allein daher kam, das Gesicht gezeichnet von Kummer und Sorge. Er fragte, was ihn hergeführt habe. Der junge Mann, der in ständiger Furcht vor Entdeckung lebte, geriet in höchste Verlegenheit und sah für sich einen Ausweg nur in einer Täuschung. Deshalb erzählte er dem Priester, der König habe ihn in geheimem Auftrag gesandt, der höchste Eile erfordere. David fehlte es somit an Glauben, und seine Sünde führte später zum Tode des Hohenpriesters. Hätte David die Dinge wahrheitsgemäß berichtet, so hätte Ahimelech sicher Rat gewußt, was er zu seiner Rettung tun konnte. Gott verlangt von seinen Kindern auch in der größten Gefahr Ehrlichkeit. David bat um fünf Laibe Brot. Der Priester hatte im Augenblick nur heiliges Brot, aber David zerstreute Ahimelechs Bedenken und stillte seinen Hunger damit. 1.Samuel 21,1-7. PP 637.1
Plötzlich drohte neue Gefahr. Doeg, der Oberste über Sauls Hirten, der zum Glauben der Hebräer übergetreten war, löste gerade an dieser Anbetungsstätte seine Gelübde ein. Als David ihn gewahrte, entschloß er sich, anderswo Zuflucht zu suchen, sich vorher aber in den Besitz irgendeiner Waffe zu bringen, um sich notfalls verteidigen zu können. Er bat Ahimelech um ein Schwert. Der antwortete ihm, er habe nur Goliaths Schwert, das in der Stiftshütte als Andenken aufbewahrt würde. “Seinesgleichen gibt es nicht; gib mir’s!” entgegnete David. 1.Samuel 21,10. Er faßte wieder Mut, als er die Waffe ergriff, mit der er einmal den Helden der Philister zur Strecke gebracht hatte. PP 637.2
David floh zu Achis, dem König von Gath, weil er meinte, unter Israels Feinden sicherer zu sein als im Herrschaftsbereich Sauls. Aber man berichtete Achis, David sei der Mann, der vor Jahren den Philisterhelden erschlagen habe. Jetzt war er auch hier in großer Gefahr. Da stellte er sich wahnsinnig, konnte dadurch seine Feinde täuschen und entrann. 1.Samuel 21,11-16. PP 637.3
Davids erster Fehler war, in Nob an Gottes Hilfe zu zweifeln, der zweite sein Betrug vor Achis. Bis dahin hatte er sich charakterlich von vornehmer Seite gezeigt und mit seinem sittlichen Verhalten das Volk für sich gewonnen. Aber in der Bewährungsprobe geriet sein Glaube ins Wanken, und menschliche Schwächen kamen zum Vorschein. In jedem sah er einen Spion und Verräter. Wie gläubig hatte David in größter Not auf Gott geschaut und den Riesen der Philister bezwungen! Er hatte auf Gott vertraut und war in seinem Namen gegangen. Aber als Gehetzter und Verfolgter sah er vor lauter Not und Gefahr den himmlischen Vater nicht mehr. PP 637.4
Doch dieses Erlebnis war für David lehrreich; es ließ ihn seine Mängel und seine ständige Abhängigkeit von Gott erkennen. Wie wertvoll ist der wohltuende Einfluß des Geistes Gottes für bedrückte und verzweifelte Menschen! Er ermutigt Verzagte, stärkt die Schwachgewordenen und hilft angefochtenen Dienern Gottes. Wie freundlich ist doch unser Gott mit den Gestrauchelten, wieviel Geduld und Mitgefühl offenbart er im Unglück an uns, oder wenn wir von großem Leid überwältigt werden! PP 638.1
Alles Versagen der Kinder Gottes ist Mangel an Glauben. Wenn uns Dunkelheit umgibt und wir uns nach Licht und Führung sehnen, laßt uns nach oben schauen; dort, jenseits der Finsternis, ist Licht. David brauchte nicht einen Augenblick an Gott zu zweifeln. Er hatte vielmehr allen Grund, ihm zu vertrauen, denn er war der Gesalbte des Herrn, und in jeder Gefahr hatten ihn Gottes Engel beschützt. Mutig hatte er Bewundernswertes vollbringen können. Wenn er nun in der schwierigen Lage, in die er geraten war, seine Gedanken auf Gottes Allmacht und Majestät gerichtet hätte, würde er selbst im Schatten des Todes inneren Frieden gefunden haben. Voller Zuversicht hätte er dann Gottes Verheißung an sich erfahren können: “Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen.” Jesaja 54,10. PP 638.2
David suchte in Judas Bergen Schutz vor Sauls Nachstellungen. Er gelangte glücklich in die Höhle Adullam, die mit einer kleinen Streitmacht sogar gegen ein großes Heer zu verteidigen war. “Als das seine Brüder hörten und das ganze Haus seines Vaters, kamen sie zu ihm dahin.” 1.Samuel 22,1. Davids Angehörige fühlten sich genauso bedroht, mußten sie doch annehmen, daß sich Sauls unvernünftiger Argwohn irgendwann einmal auch gegen sie wegen ihrer Verwandtschaft mit David richten würde. Sie wußten nun, was allmählich in ganz Israel bekannt geworden war, daß Gott David zum künftigen Herrscher seines Volkes erkoren hatte. Und obwohl er zur Zeit nur als Flüchtling in einer verlassenen Höhle lebte, fühlten sie sich bei ihm vor der irrsinnigen Wut des eifersüchtigen Königs sicherer als irgendwo anders. PP 638.3
In der Höhle Adullam war die ganze Familie in Liebe und Eintracht beisammen. Isais Sohn konnte musizieren und zum Harfenspiel singen: “Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!” Psalm 133,1. Er hatte ihr Mißtrauen bitter empfunden. Diese Harmonie statt der bisherigen Zwietracht tat dem Verbannten wohl. Hier dichtete David den siebenundfünfzigsten Psalm. PP 639.1
Kurze Zeit später stießen noch andere Männer, die der Bedrückung des Königs entgehen wollten, zu Davids Gruppe. Viele hatten längst das Vertrauen zu ihrem Herrscher verloren, weil sie sahen, daß er nicht mehr unter der Leitung des Heiligen Geistes stand. “Es sammelten sich bei ihm [David] allerlei Männer, die in Not und Schulden und verbitterten Herzens waren, und er wurde ihr Oberster; und es waren bei ihm etwa vierhundert Mann.” 1.Samuel 22,2. David hatte ein eigenes kleines Königreich, in dem Ordnung und Manneszucht herrschten. Aber selbst in diesem Schlupfwinkel der Berge fühlte er sich nicht sicher. Dauernd erhielt er Beweise dafür, daß der König seine Mordpläne nicht aufgegeben hatte. PP 639.2
Für seine Eltern fand er schließlich eine Zufluchtsstätte beim König von Moab, er selbst aber floh in die Wälder von Hereth, denn ein Prophet des Herrn hatte ihn gewarnt. Die Erfahrungen, die David sammeln mußte, waren für ihn keineswegs wertlos. Gott nahm ihn in die Schule, damit er ein tüchtiger Heerführer und auch ein gerechter, gütiger König würde. Samt seiner Flüchtlingsschar wurde er darauf vorbereitet, Sauls Aufgabe zu übernehmen, der wegen seiner grausamen Leidenschaft und blinden Unbesonnenheit dazu völlig unfähig geworden war. Niemand kann ohne Gottes Beistand Ruhe und Weisheit zum gerechten, umsichtigen Handeln bewahren. Keine Torheit wirkt sich so verheerend und hoffnungslos aus wie die, sich von menschlicher Klugheit leiten zu lassen, die der göttlichen Weisheit ermangelt. PP 639.3
Saul schickte sich an, David in der Höhle Adullam einzuschließen und gefangen zu nehmen. Als man entdeckte, daß dieser seinen Zufluchtsort verlassen hatte, wurde der König überaus wütend. Davids Flucht war ihm ein Rätsel. Er konnte sich nur denken, daß ein Verräter aus dem eigenen Lager Isais Sohn von seiner Nähe und Absicht in Kenntnis gesetzt hatte. PP 639.4
Seinen Ratgebern gegenüber behauptete er, es habe sich eine Verschwörung gegen ihn gebildet; und durch reiche Geschenke und Ehrenstellungen bestach er sie, ihm zu verraten, wer von seinen Leuten mit David befreundet sei. Da wurde Doeg, der Edomiter, zum Denunziant. Ehrgeizig und habsüchtig, wie er war, voller Haß gegen den Priester, der seine Sünden gerügt hatte, berichtete er von Davids Besuch bei Ahimelech; und er stellte die Angelegenheit so dar, daß Saul in Zorn gegen den Gottesmann geriet. Mit boshafter Zunge schürte er im König die schlimmsten Leidenschaften. Rasend vor Wut erklärte Saul, die ganze Familie des Priesters müsse sterben. Und der schreckliche Befehl wurde ausgeführt. Nicht nur Ahimelech, sondern er und seines Vaters ganzes Haus — “fünfundachtzig Männer, die den leinenen Priesterschurz trugen” — kamen durch Doegs Mörderhand um. PP 640.1
“Auch Nob, die Stadt der Priester, schlug er mit der Schärfe des Schwerts, Mann und Frau, Kinder und Säuglinge, Rinder und Esel und Schafe.” 1.Samuel 22,16-19. Das alles brachte Saul unter Satans Einfluß fertig. Als Gott ihm befohlen hatte, die Amalekiter auszurotten, weil das Maß ihrer Missetaten voll war, hatte er aus Mitleid zu ihnen das Urteil nicht vollstreckt, sondern verschont, was zum Untergang bestimmt war. Aber jetzt konnte er ohne Weisung von Gott auf Satans Anstiften die Priester des Herrn töten und über die Bewohner von Nob Verderben bringen. So ist die Verdorbenheit des menschlichen Herzens, das sich der Führung Gottes entzieht. PP 640.2
Diese Untat erregte in ganz Israel Entsetzen. Ihr König, den sie selber erwählt hatten, beging solchen Frevel. Er tat nichts anderes als die Herrscher fremder Völker, die Gott nicht fürchteten. Die Bundeslade war in ihrer Mitte, aber ihre Priester waren mit dem Schwert erschlagen. Was würde nun kommen? PP 640.3