Jakob und Esau, Isaaks Zwillingssöhne, waren in Charakter und Lebensart auffallend gegensätzlich. Diese Unähnlichkeit hatte der Engel Gottes bereits vor ihrer Geburt vorausgesagt. Als Antwort auf Rebekkas beunruhigtes Gebet tat er ihr kund, daß sie zwei Söhne bekommen würde. Zugleich eröffnete er deren künftiges Geschick: Jeder sollte das Haupt eines mächtigen Volkes werden, aber einer würde größer sein als der andere und der Jüngere den Vorrang haben ... En 73.3
Isaak machte seine Söhne mit diesen Rechten und Bedingungen vertraut und erklärte ihnen ganz deutlich, daß Esau als der Ältere Anspruch auf das Erstgeburtsrecht habe. Aber Esau hatte weder Neigung zur Frömmigkeit noch zum geistlichen Leben ... En 73.4
Rebekka erinnerte sich jetzt der Worte des Engels, und sie deutete mit größerem Scharfblick als ihr Mann die Charakterzüge ihrer Söhne. Sie kam zu der Überzeugung, daß das Erbe der göttlichen Verheißung Jakob bestimmt war. Deshalb wiederholte sie Isaak die Worte des Engels, aber die Zuneigung des Vaters gehörte nun einmal dem älterem Sohn, und er blieb beharrlich bei seiner Absicht. Patriarchen und Propheten 154.155. En 73.5
Jakob wußte durch die Mutter von der göttlichen Ankündigung, daß ihm das Erstgeburtsrecht zufallen sollte. Und er war von unsagbarem Verlangen nach den Vorrechten erfüllt, die ihm damit übertragen würden. Nicht, daß er nach dem Reichtum des Vaters strebte; das Ziel seiner Sehnsucht galt vielmehr dem geistlichen Erstgeburtsrecht ... En 74.1
Als Esau eines Tages ermattet und müde von der Jagd nach Hause kam, bat er um die Speise, die Jakob eben zubereitete. Dieser ergriff die Gelegenheit und erbot sich, den Hunger seines Bruders um den Preis des Erstgeburtsrechts zu stillen ... “Siehe, ich muß doch sterben”, rief der leichtsinnige, unbeherrschte Jäger, “was soll mir da die Erstgeburt?” 1.Mose 25,32. Und für eine Schüssel Linsengericht gab er sein Erstgeburtsrecht auf und bekräftigte diesen Handel mit einem Eid ... En 74.2
Jakob und Rebekka hatten Erfolg mit ihrem Plan, aber sie ernteten nur Kummer und Sorge. Gott hatte gesagt, Jakob solle das Erstgeburtsrecht erhalten. Wenn sie im Vertrauen darauf gewartet hätten, würde sich auch Gottes Wort zu seiner Zeit erfüllt haben ... En 74.3
Durch Esaus Zorn mit dem Tode bedroht, verließ Jakob seines Vaters Heim als Flüchtling ... Am Abend des zweiten Tages war er schon ziemlich weit von den Zelten seines Vaters entfernt. Er fühlte sich als Ausgestoßener und wußte doch zugleich, daß diese ganze Not durch eigenes falsches Verhalten über ihn hereingebrochen war. En 74.4
Dunkle Verzweiflung lastete auf ihm, und er wagte kaum zu beten. Aber er war dermaßen einsam, daß er die Notwendigkeit des göttlichen Schutzes wie nie zuvor empfand. Unter Tränen und in tiefer Demut bekannte er seine Sünde und flehte um ein Zeichen, daß er nicht gänzlich verlassen sei ... En 74.5
Aber Gott verließ Jakob nicht ... Der Herr offenbarte sich ihm voll Mitleid gerade als das, was Jakob brauchte, nämlich als Erlöser ... En 74.6
Ermüdet von seiner Reise, streckte sich der Wanderer auf dem Erdboden aus mit einem Stein als Kissen. Während er schlief, sah er eine helle, strahlende Leiter, deren unteres Ende auf der Erde stand, während die Spitze bis an den Himmel reichte. Auf dieser Leiter stiegen Engel auf und nieder. Obenan aber war der Herr der Herrlichkeit, und vom Himmel hörte man seine Stimme: “Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott.” 1.Mose 28,13 ... En 75.1
In dem Gesicht wurde Jakob der Erlösungsplan gezeigt ... Die Leiter stellte Jesus dar, den ausersehenen Mittler. Wäre nicht durch sein Verdienst die durch die Sünde entstandene Kluft überbrückt worden, hätten die dienenden Engel nicht in Verbindung mit den gefallenen Menschen treten können ... En 75.2
Mit neu belebtem, festem Glauben an die göttlichen Verheißungen, der Gegenwart und des Schutzes himmlischer Engel gewiß, “machte sich Jakob auf den Weg und ging in das Land, das im Osten liegt”. 1.Mose 29,1. Patriarchen und Propheten 155-157.160-163. En 75.3
Obwohl Jakob Haran auf göttliche Weisung verließ, zog er den Weg, den er vor zwanzig Jahren als Flüchtling gewandert war, nicht ohne Befürchtungen zurück. Seine Sünde, der Betrug am Vater stand ihm immer vor Augen ... Als in der Ferne die heimatlichen Berge auftauchten, war das Herz des Patriarchen tief bewegt. Seine ganze Vergangenheit stieg vor ihm auf. Aber mit der Erinnerung daran kam ihm auch der tröstliche Gedanke an Gottes Gnade und die Verheißung seiner Hilfe und Führung wieder ins Gedächtnis. Patriarchen und Propheten 170. En 75.4
Als Jakob seinen Weg fortsetzte, begegneten ihm die Engel des Herrn, und als er sie sah, sagte er: “Das ist das Heer Gottes.” Er sah im Traum, daß sich die Engel Gottes rings um ihn niederließen. Spiritual Gifts III, 127. En 75.5
Unmittelbar vor ihnen sah er (Jakob) zwei Kompanien Engelheere, die ihnen den Weg weisen und sie beschützen sollten. Und als er sie sah, lobte er Gott und rief aus: “Das ist das Heer Gottes!” Und er nannte den Ort Mahanaim, was so viel bedeutet wie “zwei Heere” ... The Signs of the Times, 20. November 1879. En 75.6
Dennoch meinte Jakob, auch selbst etwas zu seiner Sicherheit tun zu müssen. Deshalb sandte er Boten mit einem Versöhnungsgruß an den Bruder ... Aber die Boten kehrten mit der Nachricht zu Jakob zurück, Esau ziehe ihm entgegen mit vierhundert Kriegern. Die freundliche Botschaft blieb also unbeantwortet ... “Da fürchtete sich Jakob sehr, und ihm wurde bange.” 1.Mose 32,8 ... Deshalb teilte er sie in zwei Gruppen. Wurde eine angegriffen, konnte vielleicht die andere entkommen ... En 76.1
Sie hatten den Jabbok erreicht, als die Nacht hereinbrach. Jakob schickte seine Familie durch die Furt des Flusses und blieb als einziger zurück. Er wollte die Nacht im Gebet verbringen und mit Gott allein sein ... En 76.2
Da legte sich plötzlich eine schwere Hand auf ihn. Er vermutete, ein Feind wolle ihm ans Leben, und versuchte, sich dem Griff des Gegners zu entwinden. In der Dunkelheit rangen beide um die Oberhand. Keiner sprach ein Wort. Jakob setzte seine ganze Kraft ein und ließ in seinen Anstrengungen auch nicht einen Augenblick nach. Während er so um sein Leben kämpfte, lag das Bewußtsein der Schuld schwer auf ihm; er wurde seiner Sünden gewahr, die sich trennend zwischen ihn und Gott stellten. Aber in der höchsten Not erinnerte er sich der Verheißungen Gottes, und von ganzem Herzen flehte er um seine Gnade. En 76.3
Der Kampf dauerte bis zum Morgengrauen. Dann legte der Fremde seine Hand auf Jakobs Hüfte, und im Augenblick wurde dieser zum Krüppel. Jetzt erkannte der Erzvater das Wesen seines Gegners. Er begriff, daß er mit einem himmlischen Boten gekämpft und deshalb trotz schier übermenschlicher Anstrengung den Sieg nicht hatte erringen können. Patriarchen und Propheten 171.172. En 76.4
Der, mit dem Jakob rang, wird als “Mann” bezeichnet, aber Hosea nennt ihn einen Engel, während Jakob selbst sagt: “Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen.” Man könnte es auch so ausdrücken: Er hatte Anteil an der Macht Gottes. Es war die Majestät des Himmels, der Engel des Bundes, der in Gestalt eines Menschen zu Jakob kam. The Signs of the Times, 20. November 1879. En 76.5
Es war Christus, der “Engel des Bundes” (Maleachi 3,1), der sich Jakob offenbarte. Der Patriarch war jetzt kampfunfähig und litt heftige Schmerzen, aber er wollte seinen Halt nicht verlieren ... Reuig und gebrochen klammerte er sich an den Engel, “er weinte und bat ihn” (Hosea 12,5) und flehte um seinen Segen ... Der Engel versuchte, sich zu befreien. Er drängte: “Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an.” Aber Jakob antwortete: “Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.” 1.Mose 34,27. Hätte daraus vermessenes Selbstvertrauen gesprochen, wäre Jakob auf der Stelle getötet worden. Aber es war die Zuversicht eines Menschen, der sich seiner Unwürdigkeit bewußt ist und sich dennoch zuversichtlich auf die Treue Gottes verläßt, der seinen Bund hält ... En 77.1
Während Jakob mit dem Engel rang, wurde ein anderer himmlischer Bote zu Esau gesandt. Im Traum sah er den Bruder als einen zwanzig Jahre lang vom Vaterhause Verbannten. Er erlebte seinen Kummer, als Jakob vom Tode der Mutter erfuhr, und sah ihn von himmlischen Heerscharen umgeben. Esau erzählte diesen Traum seinen Kriegern und befahl ihnen, Jakob kein Leid zu tun, da der Gott seines Vaters mit ihm sei ... En 77.2
Jakobs Erfahrung in jener Nacht des Ringens und der Angst versinnbildlichte die Trübsal, durch die Gottes Volk unmittelbar vor der Wiederkunft Christi gehen muß. Patriarchen und Propheten 172-174. En 77.3