Kürzlich wurde ich nachts aus dem Schlafe aufgeweckt und erhielt ein Gesicht über die Leiden Christi für die Menschen. Sein Opfer, der Spott und Hohn, den er von den Bösen erduldete, seine Seelenangst in Gethsemane, der Verrat und seine Kreuzigung, alles wurde mir lebendig vor Augen gestellt. Sch3 289.3
Ich sah Christus inmitten einer großen Menschenmenge. Er versuchte, durch seine Lehren auf ihre Herzen einzuwirken. Aber er wurde von ihnen verachtet und verworfen. Die Menschen häuften Scham und Schande auf ihn. Ich war sehr bekümmert, als ich auf diesen Vorgang blickte, und sagte zu Gott: “Was soll mit dieser Versammlung geschehen? Will denn niemand seine Selbstüberhebung aufgeben und den Herrn mit kindlichem Herzen suchen? Will keines Menschen Herz in Reue und Sündenbekenntnis vor Gott zerbrechen?” Sch3 289.4
Dann wurde mir die Seelenangst Christi im Garten Gethsemane gezeigt, als der geheimnisvolle Kelch in der Hand des Erlösers zitterte und er betete: “Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!” Matthäus 26,39. Als er zu seinem Vater betete, fielen große Blutstropfen von seinem Angesicht auf die Erde. Die Mächte der Finsternis waren um den Heiland versammelt, ihn zu entmutigen. Sch3 289.5
Christus erhob sich vom Erdboden und ging zu dem Platz, wo er seine Jünger mit der Bitte zurückgelassen hatte, mit ihm zu wachen und zu beten, damit sie nicht von der Versuchung übermannt würden. Er wollte sehen, ob sie seine Seelenangst verstanden; er brauchte ihr Mitempfinden. Aber er fand sie schlafend. Dreimal ging er zu ihnen und fand sie jedesmal schlafend. Sch3 290.1
Dreimal betete der Heiland: “Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir.” Hier lag das Schicksal einer verlorenen Welt auf der Waage. Würde er sich weigern, den Kelch zu trinken, dann wäre das ewige Verderben des Menschengeschlechts besiegelt. Doch ein Engel vom Himmel stärkte den Sohn Gottes, den Kelch anzunehmen und seine Bitterkeit auszukosten. Sch3 290.2
Wie wenige erkennen, daß dies alles für sie persönlich erduldet wurde! Wie wenige sagen sich: “Es geschah für mich, damit ich einen Charakter für das zukünftige ewige Leben bilden kann.” Sch3 290.3
Als mir dies alles so lebendig vor Augen stand, dachte ich: “Nie werde ich das alles den Menschen so veranschaulichen können, wie es wirklich ist.” Ich habe nur eine blasse Darstellung dessen gegeben, was mir gezeigt wurde. Als ich daran dachte, wie der Kelch in der Hand Christi zitterte; als ich erkannte, daß er es hätte ablehnen können, ihn zu trinken, daß er die Welt in ihren Sünden verderben lassen konnte, da gelobte ich, alle Kräfte meines Lebens einzusetzen, Menschen für Christus zu gewinnen. Sch3 290.4
Christus kam auf die Erde, um zu leiden und zu sterben, damit wir durch den Glauben an ihn und durch die Annahme seiner Verdienste Mitarbeiter Gottes werden können. Es war die Absicht des Heilandes, nach seiner Himmelfahrt der Fürsprecher der Menschen zu sein. Seine Nachfolger aber sollten das von ihm begonnene Werk fortführen. Sollte ein menschliches Werkzeug nicht besonderen Anteil daran nehmen, das Licht der Heilsbotschaft allen zu bringen, die in der Finsternis leben? Es gibt einige, die bereit sind, bis ans Ende der Erde zu gehen, um den Menschen das Licht der Wahrheit zu bringen; Gott fordert jedoch, daß jeder, der die Wahrheit kennt, sich darum bemühen soll, andere für die Liebe zur Wahrheit zu gewinnen. Wenn wir nicht bereit sind, besondere Opfer zu bringen, um Menschen zu retten, die vor dem Verderben stehen, wie können wir da würdig erachtet werden, in die Stadt Gottes einzugehen? Sch3 290.5
Für jeden einzelnen von uns gibt es eine persönliche Arbeit. Ich weiß, daß es viele gibt, die eine rechte Gemeinschaft zu Christus aufnehmen und nur den einen Gedanken haben, den Menschen in der Welt die Botschaft zu bringen. Sie sind stets bereit, ihre Dienste anzubieten. Aber mit wehem Herzen sehe ich so viele, die sich mit einer mangelhaften Erfahrung zufriedengeben, die sie nur wenig kostet. Ihr Leben bringt zum Ausdruck, daß Christus für sie umsonst gestorben ist. Sch3 291.1
Hast du kein Empfinden für die Ehre, Teilhaber der Leiden Christi zu sein, fühlst du dich nicht für Menschen verantwortlich, die zu verderben drohen; bist du nicht zu Opfern bereit, damit Mittel für die notwendigen Aufgaben vorhanden sind, dann hast du keinen Raum im Reiche Gottes. Wir müssen in allem Teilhaber der Leiden und der Selbstverleugnung Christi sein. Wir brauchen den Geist Gottes als unsern Führer zur beständigen Selbstaufopferung. Sch3 291.2