Im hebräischen Wirtschaftsleben war ein Zehntel des Volkseinkommens zum Unterhalt des öffentlichen Gottesdienstes bestimmt. Daher hatte Mose dem Volk gesagt: “Alle Zehnten im Lande, vom Ertrag des Landes und von den Früchten der Bäume, gehören dem Herrn und sollen dem Herrn heilig sein ... alle Zehnten von Rindern und Schafen, ... jedes zehnte davon soll heilig sein dem Herrn.” 3.Mose 27,30.32. PP 506.1
Aber die Einrichtung des Zehnten stammt nicht von den Hebräern. Von jeher beanspruchte der Herr den Zehnten als sein Eigentum, und dieser Anspruch wurde anerkannt und in Ehren gehalten. Abraham entrichtete den Zehnten an Melchisedek, den Priester des Allerhöchsten. Als flüchtiger Wanderer gelobte Jakob bei Bethel dem Herrn: “Von allem, was du mir gibst, will ich dir den Zehnten geben.” 1.Mose 28,22. Als die Israeliten im Begriff standen, eine eigene Nation zu werden, wurde das Zehntengesetz als göttliche Verordnung, von deren Befolgung ihr Wohlergehen abhing, bestätigt. PP 506.2
Durch die Zehnten- und Gabenordnung sollte sich den Menschen etwas sehr Wesentliches einprägen, nämlich, daß Gott die Quelle alles Segens für seine Geschöpfe ist und ihm für die reichen Gaben seiner Fürsorge Dank gebührt. PP 506.3
Er selber gibt “jedermann Leben und Odem und alles”. Der Herr sagt: “Alles Wild im Walde ist mein und die Tiere auf den Bergen zu Tausenden.” “Mein ist das Silber, und mein ist das Gold.” “Gedenke an den Herrn, deinen Gott; denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen.” Apostelgeschichte 17,25; Psalm 50,10; Haggai 2,8; 5.Mose 8,18. Als eine Bestätigung dafür, daß alle Dinge von ihm kommen, verordnete der Herr, daß ihm ein Teil davon in Form von Gaben und Opfern zurückgegeben werden sollte, um den Dienst für ihn aufrechtzuerhalten. PP 506.4
“Der Zehnte ... ist des Herrn.” Hier wird dieselbe Ausdrucksform angewandt wie beim Sabbatgebot: “Am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes.” 2.Mose 20,10. Gott behielt sich einen bestimmten Teil der Zeit und der Mittel des Menschen vor, und niemand kann sich etwas davon für eigene Zwecke aneignen, ohne schuldig zu werden. PP 507.1
Der Zehnte sollte ausschließlich für die Leviten verwendet werden, deren Stamm zum Dienst am Heiligtum ausgesondert war. Aber damit war den Beiträgen zu gottesdienstlichen Zwecken keine Grenze gesetzt. Die Stiftshütte wurde — wie später der Tempel — ganz und gar mit freiwilligen Gaben erbaut. Um auch für notwendige Ausbesserungen und irgendwelche andere Ausgaben Mittel zu haben, ordnete Mose an, bei Volkszählungen solle jeder Israelit einen halben Schekel “zum Dienst am Heiligtum” beisteuern. Zu Nehemias Zeit erhob man den Beitrag für diese Zwecke jährlich. Siehe 2.Mose 30,12-16; 2.Könige 12,5.6; 2.Chronik 24,4-13; Nehemia 10,33.34. Von Zeit zu Zeit, besonders bei den jährlichen Festen, wurden Gott Sünd- und Dankopfer dargebracht. Aber die großzügigste Fürsorge galt den Armen. PP 507.2
Schon ehe der Zehnte zurückgelegt werden konnte, hatte man Gottes Ansprüche anerkannt. Gott wurde jede Erstlingsfrucht der Ernte geweiht. Die erste Wolle bei der Schafschur, das erste Korn beim Weizendrusch, das Erste von Öl und Wein wurde für ihn beiseite getan. So hielt man es auch mit allen erstgeborenen Tieren; und für den erstgeborenen Sohn bezahlte man ein Lösegeld. Die ersten Früchte sollten dem Herrn am Heiligtum dargebracht und dann den Priestern zum Verbrauch überlassen werden. PP 507.3
So wurde das Volk immer wieder daran erinnert, daß Gott der wahre Eigentümer ihrer Felder und Herden war, daß er Sonnenschein und Regen für Saat und Ernte gab und alles schuf, was sie besaßen, sie also nur Verwalter seiner Güter waren. PP 507.4
Wenn sich Israels Männer mit den ersten Früchten des Feldes, der Obstgärten und Weinberge an der Stiftshütte einfanden, dankten sie dadurch öffentlich für Gottes Güte. Nahm der Priester die Gaben entgegen, sagte der Opfernde, als spräche er in Jahwes Gegenwart: “Mein Vater war ein Aramäer, dem Umkommen nahe”; und dann schilderte er den Aufenthalt in Ägypten, die Not, aus der Gott Israel befreit hatte mit “ausgerecktem Arm und mit großem Schrecken, durch Zeichen und Wunder, und brachte uns an diese Stätte und gab uns dies Land, darin Milch und Honig fließt. Nun bringe ich die Erstlinge der Früchte des Landes, das du, Herr, mir gegeben hast.” 5.Mose 26,5.8-10. PP 507.5
Die von den Hebräern für gottesdienstliche und wohltätige Zwecke verlangten Beiträge machten ein reichliches Viertel ihres Einkommens aus. Man könnte meinen, daß solche schwere Besteuerung sie arm gemacht hätte. Aber die gewissenhafte Beachtung dieser Vorschriften war im Gegenteil eine der Bedingungen ihres Wohlstandes. Unter der Voraussetzung des Gehorsams gab Gott ihnen die Verheißung: “Ich will um euretwillen den ‘Fresser’ bedrohen, daß er euch die Frucht auf dem Acker nicht verderben soll und der Weinstock auf dem Felde euch nicht unfruchtbar sei ... Dann werden euch alle Heiden glücklich preisen, denn ihr sollt ein herrliches Land sein, spricht der Herr Zebaoth.” Maleachi 3,11.12. PP 508.1
Ein eindrucksvolles Beispiel, wohin es führt, wenn man in eigennütziger Weise dem Werke Gottes selbst freiwillige Gaben vorenthält, haben wir aus der Zeit des Propheten Haggai. Nach ihrer Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft begannen die Juden, den Tempel des Herrn wieder aufzubauen. Aber als sie bei ihren Feinden auf entschlossenen Widerstand stießen, stellten sie die Arbeit ein. Eine große Dürre, durch die sie wirklich Not litten, weckte in ihnen die Überzeugung, daß die Vollendung des Tempelbaues unmöglich sei. “Die Zeit ist noch nicht da”, sagten sie, “daß man des Herrn Haus baue.” Da sandte der Herr ihnen durch seinen Propheten eine Botschaft: “Aber eure Zeit ist da, daß ihr in getäfelten Häusern wohnt, und dies Haus muß wüst stehen! Nun, so spricht der Herr Zebaoth: Achtet doch darauf, wie es euch geht: Ihr säet viel und bringt wenig ein; ihr eßt und werdet doch nicht satt; ihr trinkt und bleibt doch durstig; ihr kleidet euch und könnt euch doch nicht erwärmen; und wer Geld verdient, der legt’s in einen löchrigen Beutel.” Und dann gibt er den Grund dafür an: “Ihr erwartet wohl viel, aber siehe, es wird wenig; und wenn ihr’s schon heimbringt, so blase ich’s weg. Warum das? spricht der Herr Zebaoth. Weil mein Haus so wüst dasteht und ein jeder nur eilt, für sein Haus zu sorgen. Darum hat der Himmel über euch den Tau zurückgehalten und das Erdreich sein Gewächs. Und ich habe die Dürre gerufen über Land und Berge, über Korn, Wein, Öl und über alles, was aus der Erde kommt, auch über Mensch und Vieh und über alle Arbeit der Hände.” “Wenn einer zum Kornhaufen kam, der zwanzig Maß haben sollte, so waren kaum zehn da; kam er zur Kelter und meinte, fünfzig Eimer zu schöpfen, so waren kaum zwanzig da. Ich plagte euch mit Dürre, Getreidebrand und Hagel in all eurer Arbeit.” PP 508.2
Von dieser Warnung des Propheten aufgerüttelt, begann das Volk, mit neuem Eifer am Hause Gottes zu bauen. Da kam das Wort des Herrn zu ihnen: “Nun aber achtet doch darauf, wie es euch ergehen wird von diesem Tag an und fernerhin — vom vierundzwanzigsten Tage des neunten Monats an — nämlich von dem Tag an, da der Tempel des Herrn gegründet ist ... Von diesem Tage an will ich Segen geben.” Haggai 1,2.4-6.9-12; 2,16-19. PP 509.1
Der weise Salomo sagt: “Einer teilt reichlich aus und hat immer mehr; ein andrer kargt, wo er nicht soll, und wird doch ärmer.” Und im Neuen Testament vertritt der Apostel Paulus dieselbe Wahrheit: “Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen ... Gott aber kann machen, daß alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allewege volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk.” Sprüche 11,24; 2.Korinther 9,6.8. PP 509.2
Gott hatte sein Volk Israel zum Lichtträger für alle Bewohner der Erde bestimmt. Indem sie an seiner öffentlichen Anbetung festhielten, legten sie ein Zeugnis ab für das Dasein und die Herrschaft des lebendigen Gottes. Diesen Dienst als Ausdruck ihrer Liebe und Treue zu ihm zu pflegen, entsprach ihrer bevorrechteten Stellung. Der Herr hat bestimmt, daß die Ausbreitung von Licht und Wahrheit auf Erden abhängig ist von den Anstrengungen und Gaben derer, die Teilhaber himmlischer Segnungen sind. Er hätte Engel zu Boten seiner Wahrheit machen und seinen Willen mit eigener Stimme kundtun können, wie er es am Sinai tat, als er das Gesetz verkündigte. Aber in unendlicher Liebe und Weisheit berief er Menschen zu seinen Mitarbeitern, dieses Werk zu tun. PP 509.3
Zur Zeit Israels brachte man Zehnten und freiwillige Gaben, um den Gottesdienst aufrechtzuerhalten. Sollte Gottes Volk heute weniger geben? Christus selbst stellte den Grundsatz auf, daß unsere Gaben für Gott im Verhältnis zu der Erkenntnis und den Vorzügen stehen sollten, die wir genießen. “Welchem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen.” Als der Heiland seine Jünger aussandte, sagte er ihnen: “Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch.” Lukas 12,48; Matthäus 10,8. Unsere Segnungen und Vorrechte sind ständig gewachsen — vor allem, weil wir das unvergleichliche Opfer des erhabenen Gottessohnes haben. Sollte nicht unsere Dankbarkeit dafür in reicheren Gaben Ausdruck finden, damit auch anderen die Heilsbotschaft gebracht werden kann? In dem Maße, wie sich die Evangeliumsverkündigung ausbreitet, benötigt sie mehr Mittel als früher. Deswegen werden Zehnte und Gaben dringender gebraucht als damals bei den Hebräern. Unterstützte Gottes Volk sein Werk reichlicher durch freiwillige Gaben, anstatt bei der Auffüllung der Gemeindekassen zu unchristlichen, ungeheiligten Mitteln zu greifen, ehrte man Gott und viel mehr Menschen würden für Christus gewonnen. PP 509.4
Moses Plan, die Mittel zum Bau der Stiftshütte durch Spenden aufbringen zu lassen, war überaus erfolgreich. Da waren kein Drängen und keine Kunstgriffe nötig, zu denen Gemeinden heutzutage manchmal ihre Zuflucht nehmen. Er veranstaltete kein großes Fest, lud nicht zu Fröhlichkeit, Tanz und Vergnügen ein. Er machte auch keine Verlosung oder ähnliche weltliche Dinge, um Mittel zum Bau des Heiligtums zu bekommen. Der Herr ließ die Kinder Israel durch Mose auffordern, ihre Gaben zu bringen. Dieser sollte sie von jedem annehmen, der sie willig und von Herzen gab. Und sie kamen in solchem Überfluß, daß Mose das Volk bitten mußte, aufzuhören, weil sie mehr brachten, als man gebrauchen konnte. PP 510.1
Gott hat Menschen zu seinen Verwaltern gemacht. Das Eigentum, das er ihnen in die Hand gab, sind die Mittel zur Ausbreitung des Evangeliums. Wer sich treu erweist, dem wird er mehr anvertrauen. Er sagt: “Wer mich ehrt, den will ich auch ehren.” “Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb”, und wenn ihm seine Kinder mit dankbaren Herzen ihre Gaben bringen, “nicht mit Unwillen oder aus Zwang”, wird er sie nach seiner Verheißung segnen. “Bringt aber die Zehnten in voller Höhe in mein Vorratshaus, auf daß in meinem Hause Speise sei, und prüft mich hiermit, spricht der Herr Zebaoth, ob ich euch dann nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle.” 1.Samuel 2,30; 2.Korinther 9,7; Maleachi 3,10. PP 510.2