Nach der Versammlung in Gilgal entließ Saul das Heer, das auf seinen Ruf gekommen war, um die Ammoniter zu besiegen. Er behielt nur zweitausend Mann unter seinem Befehl bei Michmas und ließ tausend als Gefolge seines Sohnes Jonathan in Gibea. Das erwies sich als schwerer Fehler. Durch den jüngsten Sieg war das Heer voller Hoffnung und Mut. Er hätte besser getan, sofort auch gegen die andern Feinde vorzugehen. Dann hätte er einen entscheidenden Schlag zur Befreiung Israels führen können. PP 601.1
Statt dessen handelten die kriegerischen Nachbarn, die Philister. Sie besaßen nach der Niederlage bei Eben-Ezer noch immer einige Bergfestungen in Israel. Jetzt setzten sie sich im Landesinneren fest. Außerdem waren sie den Israeliten an Ausrüstung und Waffenübung weit überlegen. Während der langen Zwangsherrschaft über die Israeliten hatten sie ihre Macht noch dadurch zu verstärken gewußt, daß sie diesen verboten, das Schmiedehandwerk zu betreiben, damit sie kein Kriegsgerät herstellen konnten. Und auch nach dem Friedensschluß mußten sich die Hebräer mit dergleichen notwendigen Arbeiten weiterhin an die Besatzung der Philister wenden. Aus Bequemlichkeit und infolge der Abhängigkeit, die solche lange Bedrückung mit sich bringt, versäumten Israels Männer weitgehend, sich mit Waffen zu versehen. Bei Fehden verwandte man Bogen und Schleudern, und die konnten sie erwerben. Außer Saul und seinem Sohne Jonathan besaß keiner Speer oder Schwert. PP 601.2
Erst in Sauls zweitem Regierungsjahr machten sie einen Versuch, die Philister zu unterwerfen. Den ersten Schlag führte sein Sohn Jonathan, der die Besatzung von Gibea angriff und überwältigte. Erbittert über diese Niederlage, bereiteten die Philister einen raschen Gegenangriff vor. Nun ließ Saul mit Posaunenschall im ganzen Lande zum Kriege blasen und alle wehrfähigen Männer aufrufen, sich in Gilgal zu versammeln, einschließlich der Stämme jenseits des Jordan. Und sie folgten diesem Ruf. PP 601.3
Die Philister hatten eine ungeheure Streitmacht bei Michmas versammelt, “dreitausend Wagen, sechstausend Gespanne und Fußvolk, so viel wie Sand am Ufer des Meeres”. 1.Samuel 13,5. Als Saul und sein Heer bei Gilgal davon hörten, erschraken sie bei dem Gedanken, solcher gewaltigen Übermacht im Kampf begegnen zu müssen. Darauf waren sie nicht vorbereitet. Viele wurden dermaßen ängstlich, daß sie es nicht einmal auf einen Versuch zum Gefecht ankommen lassen wollten. Einige gingen über den Jordan, andere versteckten sich in Höhlen und zwischen den vielen Felsen jener Gegend. Als die Zeit des Treffens heranrückte, wuchs die Zahl der Fahnenflüchtigen rasch, und die nicht davonliefen, waren von schlimmen Ahnungen und Entsetzen erfüllt. PP 602.1
Als Saul zum König gesalbt wurde, hatte ihm Samuel ganz ausdrücklich geboten, wie er sich bei dieser Gelegenheit zu verhalten hätte. “Du sollst aber vor mir hinabgehen nach Gilgal; siehe, da will ich zu dir hinabkommen, um Brandopfer und Dankopfer zu opfern. Sieben Tage sollst du warten, bis ich zu dir komme und dir kundtue, was du tun sollst.” 1.Samuel 10,8. PP 602.2
Saul wartete Tag um Tag. Er gab sich jedoch keine große Mühe, das Volk zu ermutigen und ihm Gottvertrauen einzuflößen. Noch ehe die vom Propheten festgesetzte Frist ganz verstrichen war, packte ihn die Ungeduld über die Verzögerung; er wurde durch die schwierige Lage selber mutlos. Statt seine Leute gewissenhaft auf den Gottesdienst vorzubereiten, den Samuel mit ihnen halten wollte, hing er ungläubig trüben Ahnungen nach. Gott beim Opferdienst zu suchen, war eine sehr ernste und wichtige Aufgabe. Er erwartete von seinem Volk Selbstprüfung und Reue über ihre Sünden, damit er das Opfer annehmen konnte und sein Segen ihre Anstrengungen begleitete, wenn es den Feind zu besiegen galt. Aber Saul war unruhig geworden, und das Volk schaute auf ihn als König, den es sich zu seiner Führung erwählt hatte, anstatt Hilfe von Gott zu erwarten. PP 602.3
Doch der Herr sorgte weiter für sie und gab sie nicht dem Unglück preis, das zweifellos über sie gekommen wäre, wenn sie sich nur auf ihre eigene schwache Kraft verlassen hätten. Er ließ sie in Bedrängnis kommen, damit sie einsähen, wie töricht es ist, sich auf Menschen zu verlassen, und sich nicht an ihn als ihre einzige Hilfe zu wenden. Für Saul war die Zeit der Bewährung gekommen. Jetzt mußte sich zeigen, ob er Gott vertraute und geduldig auf dessen Befehl wartete. Er mußte beweisen, ob Gott ihn als Herrscher seines Volkes auf schwierige Plätze stellen konnte, oder ob er, ein schwankender Mensch, der ihm übertragenen heiligen Verantwortung unwürdig war. Hörte der König, den sich Israel erwählte, auf den König aller Könige? Würde er seine verzagten Krieger auf den Einen hinweisen, bei dem allezeit Stärke und Rettung ist? PP 602.4
Mit wachsender Ungeduld erwartete er Samuels Ankunft. Er machte den ausbleibenden Propheten für die Verwirrung und Auflösung seines Heeres verantwortlich. Die festgesetzte Zeit kam, aber der Mann Gottes erschien nicht. Gottes Vorsehung hatte seinen Diener aufgehalten. Nun konnte sich Saul in seiner Unruhe und Erregung nicht länger beherrschen. Es mußte irgend etwas geschehen, um die Furcht der Leute zu beschwichtigen, und so entschloß er sich, alle zum Gottesdienst zusammenzurufen und mit einem Opfer Gottes Hilfe zu erbitten. Gott hatte bestimmt, daß nur für dieses Amt Geweihte das tun durften. Aber Saul befahl: “Bringt mir her das Brandopfer!” Wie er war, in seiner Waffenrüstung, ging er zum Altar und opferte. PP 603.1
“Als er aber das Brandopfer vollendet hatte, siehe, da kam Samuel. Da ging Saul ihm entgegen, um ihm den Segensgruß zu entbieten.” 1.Samuel 13,9.10. Samuel sah sofort, daß Saul gegen die ausdrücklichen Anweisungen gehandelt hatte. Der Herr hatte durch seinen Propheten gesagt, daß er zu dieser Zeit kundtun würde, was Israel in seiner schwierigen Lage tun sollte. Wenn Saul die Bedingungen erfüllt hätte, von denen Gottes Hilfe abhing, würde der Herr mit den wenigen Getreuen, die beim König geblieben waren, Israel auf wunderbare Weise befreit haben. Aber Saul war von sich und seiner Tat so überzeugt, daß er dem Propheten begegnete wie einer, der eher Lob als Tadel verdient hat. PP 603.2
Samuels Gesicht verriet Unruhe und Sorge, aber auf seine Frage: “Was hast du getan?” rechtfertigte Saul seine Vermessenheit: “Ich sah, daß das Volk von mir wegzulaufen begann, und du kamst nicht zur bestimmten Zeit, während doch die Philister sich schon in Michmas versammelt hatten. Da dachte ich: Nun werden die Philister zu mir herabkommen nach Gilgal, und ich habe die Gnade des Herrn noch nicht gesucht; da wagte ich’s und opferte Brandopfer.” PP 603.3
“Samuel aber sprach zu Saul: Du hast töricht gehandelt und nicht gehalten das Gebot des Herrn, deines Gottes, das er dir geboten hat. Er hätte dein Königtum bestätigt über Israel für und für. Aber nun wird dein Königtum nicht bestehen. Der Herr hat sich einen Mann gesucht nach seinem Herzen, und der Herr hat ihn bestellt zum Fürsten über sein Volk ... Und Samuel machte sich auf und ging von Gilgal hinauf und zog seines Weges.” 1.Samuel 13,11-15. PP 604.1
Entweder galt in Israel jene Grundlage, auf der die Monarchie beruhte, oder es hörte auf, Gottes Volk zu sein. Wenn die Israeliten ganz dem Herrn gehören wollten und ihr Denken seinem Willen unterordneten, dann würde er weiterhin ihr Herrscher sein. Solange sich König und Volk von ihm abhängig fühlten, würde er sie schützen. Aber es konnte kein Königtum in Israel gedeihen, das nicht in allen Dingen Gott als höchste Autorität anerkannte. PP 604.2
Hätte Saul in dieser Zeit der Bewährung Gottes Anordnungen beachtet, wäre er der Vollstrecker des göttlichen Willens geworden. Als er versagte, bewies er, daß er nicht zum Stellvertreter Gottes in seinem Volk geeignet war. Er würde sie verkehrte Wege führen, sein eigener und nicht Gottes Wille die beherrschende Macht sein. Wenn Saul treu geblieben wäre, wäre sein Königtum für immer bestätigt worden; da er enttäuschte, mußte ein anderer Gottes Plan ausführen. Die Regierung mußte ein gottesfürchtiger Mann übernehmen. PP 604.3
Wir erkennen oft nicht, was auf dem Spiele steht, wenn Gott uns prüft. Dann schützt uns nur unbedingter Gehorsam gegen das Wort Gottes. An alle seine Verheißungen sind als Voraussetzung Glaube und Gehorsam geknüpft. Wer seine Gebote nicht hält, beraubt sich selbst reicher Segnungen. Wir sollten nicht irgendwelchen Impulsen folgen, noch uns auf das Urteil von Menschen verlassen. Die Verhältnisse um uns mögen sein, wie sie wollen, ausschlaggebend ist der in der Schrift niedergelegte Wille Gottes. Er wird für alles Weitere Sorge tragen. Durch Treue gegen sein Wort beweisen wir gerade in Prüfungszeiten vor Menschen und Engeln, daß Gott sich auch in schwierigen Lebenslagen auf uns verlassen kann, daß wir seinen Willen tun und seinen Namen ehren zum Segen seines Volkes. PP 604.4
Saul war bei Gott in Ungnade gefallen und doch nicht bereit, sich reuevoll zu demütigen. Was ihm an echter Frömmigkeit fehlte, suchte er durch Eifer in den äußeren Formen wieder wettzumachen. Er wußte um Israels Niederlage, nachdem Hophni und Pinhas die Bundeslade ins Lager gebracht hatten. Trotzdem beschloß auch er, nach der heiligen Truhe und den Priestern, die sie pflegten, zu schicken. Gelänge es ihm, dem Volk dadurch Vertrauen einzuflößen, dann, so hoffte er, könnte er sein zerstreutes Heer wieder sammeln und den Philistern eine Schlacht liefern. Er würde auch ohne Samuels Anwesenheit und Unterstützung fertig werden und von dessen unerwünschten Vorwürfen und Zurechtweisungen verschont bleiben. PP 605.1
Um seinen Verstand zu erleuchten und sein Gemüt zu besänftigen, war der Heilige Geist auf Saul gekommen. Wie gewissenhaft hatte der Prophet ihn belehrt und zurechtzubringen versucht! Und wie halsstarrig blieb er trotzdem! Die Geschichte des ersten Königs von Israel ist ein trauriges Beispiel für den Einfluß früh angenommener schlechter Gewohnheiten. In jungen Jahren liebte und fürchtete er Gott nicht. Und die ihm eigene Heftigkeit hatte er schon in der Kindheit nicht zu unterdrücken gelernt. Stets neigte er dazu, sich gegen Gottes Autorität aufzulehnen. Wer in der Jugend ehrfürchtig auf den Willen Gottes achtet und es mit seinen Berufspflichten ernst nimmt, wird für spätere höhere Stellungen vorbereitet sein. Aber niemand kann die von Gott verliehenen Kräfte jahrelang mißbrauchen und meinen, daß diese Fähigkeiten noch frisch und unverdorben sind, wenn er plötzlich einen ganz entgegengesetzten Weg einschlagen möchte. PP 605.2
Sauls Bemühungen, das Volk aufzurütteln, erwiesen sich als nutzlos. Seine Streitmacht war bis auf sechshundert Mann zusammengeschmolzen, und so verließ er Gilgal und zog sich in die Festung Gibea zurück, die sie jüngst den Philistern weggenommen hatten. Sie lag nur wenige Kilometer nördlich von Jerusalem und war an der Südseite von einem tiefen, ebenen Tal, einer Art Schlucht, begrenzt. An deren Nordseite bei Michmas lagerte die Streitmacht der Gegner, während einzelne Scharen in verschiedenen Richtungen umherzogen und das Land plünderten. PP 605.3
Gott ließ es zu einer Krise kommen, um Sauls Eigensinn zu bestrafen und sein Volk Demut und Glauben zu lehren. Saul hatte mit seinem vermessenen Opfer gesündigt, darum verwehrte ihm der Herr den Siegesruhm über die Philister. Jonathan, der gottesfürchtige Sohn des Königs, war zur Befreiung Israels ausersehen. Durch göttliche Eingebung schlug er seinem Waffenträger vor, einen geheimen Angriff auf das feindliche Lager zu unternehmen. “Vielleicht”, sagte er, “wird der Herr etwas für uns tun, denn es ist dem Herrn nicht schwer, durch viel oder wenig zu helfen.” 1.Samuel 14,6. PP 605.4
Auch der Waffenträger war ein Mann des Glaubens und Gebets und unterstützte den Plan. Heimlich verließen beide das Lager, damit ihre Absicht nicht vereitelt würde. Nach ernstem Gebet zum Gott ihrer Väter einigten sie sich über ein Zeichen, wonach sich ihr Vorgehen entscheiden sollte. Dann stiegen sie die Felsschlucht hinunter, die beide Heere voneinander trennte. Schweigend nahmen sie ihren mühsamen Weg im Schatten der Felsklippen, teilweise auch verdeckt durch Hügel und Talfurchen. Als sie sich der Philisterfestung näherten, wurden sie von den Feinden bemerkt, die höhnisch riefen: “Siehe, die Hebräer sind aus den Löchern hervorgekommen, in die sie sich verkrochen hatten.” Sie forderten sie auf: “Kommt herauf zu uns, so wollen wir’s euch schon lehren!” 1.Samuel 14,11.12. Das hieß wohl, sie würden den beiden Israeliten ihre Dreistigkeit heimzahlen. Für Jonathan und seinen Begleiter war diese Aufforderung aber das Zeichen, in dem sie den Beweis sahen, daß der Herr ihr Unternehmen gelingen ließ. Sie verschwanden aus dem Blickfeld der Philister und gelangten über einen geheimen, schwierigen Pfad auf eine Felsspitze, die unbesteigbar schien und darum weniger gut bewacht war. So drangen sie ins feindliche Lager ein und erschlugen die Wachposten, die, überrascht und erschreckt, keinen Widerstand leisteten. Engel beschützten Jonathan und seinen Waffenträger. Engel kämpften an ihrer Seite, und vor ihnen wichen die Philister zurück. Die Erde bebte, als käme eine riesige Menge von Reitern und Wagen daher. Jonathan erkannte darin aufs neue ein Zeichen göttlicher Hilfe, und selbst die Philister wußten nun, daß Gott zur Befreiung Israels am Werke war. Große Furcht überkam das Heer in der Festung und auf dem Felde. In ihrer Bestürzung hielten sie die eigenen Leute für Feinde und fingen an, sich gegenseitig zu erschlagen. PP 606.1
Bald hörte man den Kampflärm im israelitischen Lager. Die Wachen des Königs meldeten, daß bei den Philistern ein großes Durcheinander herrsche und sie Verluste erlitten. Doch war nicht bekannt, ob jemand vom hebräischen Heer das Lager verlassen hatte. Als man nachforschte, stellte sich heraus, nur Jonathan und sein Waffenträger fehlten. Als Saul sah, daß sich die Philister im Zweikampf schlugen, ließ auch er zum Sturm antreten. Die vordem zum Feind übergelaufenen Hebräer kehrten sich nun gegen diese. Viele kamen aus ihren Verstecken hervor, und als die völlig außer Fassung geratenen Philister flohen, fügte Sauls Heer ihnen schwere Verluste zu. PP 606.2
Um seinen Vorteil ganz auszunutzen, gebot der König seinen Kriegern übereilt, den ganzen Tag nichts zu essen, und bekräftigte seinen Befehl mit der wichtigtuerischen Verwünschung: “Verflucht sei jedermann, der etwas ißt bis zum Abend, bis ich mich an meinen Feinden räche!” 1.Samuel 14,24. Der Sieg war schon ohne Sauls Wissen und Mitwirkung errungen, aber er hoffte, sich noch durch die völlige Vernichtung der Besiegten hervorzutun. Den unverständlichen Befehl, sich der Nahrung zu enthalten, gab der König nur aus persönlichem Ehrgeiz, und er zeigte damit, daß ihm die Bedürfnisse seines Volkes gleichgültig waren, wenn es um seine eigene Ehre ging. Und dies Verbot bekräftigte er auch noch mit einem feierlichen Eid. Wie übereilt und lästerlich! Gerade der Fluch bewies, daß Saul nur für sich selbst eiferte und nicht für die Ehre Gottes. Als Zweck gab er nicht an, “daß der Herr an seinen Feinden gerächt werde”, sondern “bis ich mich an meinen Feinden räche”. PP 607.1
Die Folge war, daß sie Gottes Gebot übertraten. Sie hatten den ganzen Tag im Kampfe gestanden und waren nun erschöpft vor Hunger. Kaum war daher die vorgeschriebene Zeit vorbei, fielen sie über die Beute her, verschlangen das Fleisch mit dem Blute und versündigten sich dadurch; denn das Gesetz verbot den Genuß von Blut. Jonathan aber wußte von dem Befehl des Königs nichts. So verletzte er an diesem Kampftage dessen Gebot unwissentlich, als er beim Durchstreifen eines Waldes Honig aß. Saul erfuhr es schon am Abend. Er hatte bekanntgeben lassen, daß jede Mißachtung mit dem Tode bestraft würde. Obwohl Jonathan kein vorsätzliches Unrecht begangen hatte und Gott ihn wunderbar beschützt und durch ihn Befreiung geschenkt hatte, erklärte der König, das Urteil müsse vollstreckt werden. Das Leben seines Sohnes zu schonen, wäre gleichbedeutend gewesen mit dem Eingeständnis, daß er sich mit dem voreiligen Schwur versündigte. Und das mußte seinen Stolz demütigen. Also lautete sein schreckliches Urteil: “Gott tue mir dies und das; Jonathan, du mußt des Todes sterben!” 1.Samuel 14,44. PP 607.2
Wenn er schon keinen Siegesruhm für sich beanspruchen konnte, so hoffte Saul für den Eifer, mit dem er die Heiligkeit des Eides hochhielt, Achtung zu erzielen. Selbst um den Preis des eigenen Sohnes wollte er seinen Untertanen deutlich machen, daß des Königs Autorität gilt. Nicht lange zuvor maßte er sich bei Gilgal gegen Gottes Gebot priesterliche Aufgaben an. Als Samuel ihn deswegen tadelte, hatte er sich verstockt gerechtfertigt. Hier wurde sein eigener unvernünftiger Befehl unwissentlich übertreten, und der König und Vater verurteilte seinen eigenen Sohn zum Tode. PP 608.1
Aber die Krieger lehnten die Urteilsvollstreckung ab. Mutig traten sie dem zornigen König entgegen und sagten: “Sollte Jonathan sterben, der dies große Heil in Israel vollbracht hat? Das sei ferne! So wahr der Herr lebt: es soll kein Haar von seinem Haupt auf die Erde fallen, denn Gott hat heute durch ihn geholfen.” 1.Samuel 14,45. Der stolze Monarch wagte gegen dieses einstimmige Urteil nichts zu sagen, und so blieb Jonathan am Leben. PP 608.2
Saul verhehlte sich nicht, daß sein Sohn ihm sowohl vom Volk als auch vom Herrn vorgezogen wurde. Jonathans Freispruch war für den voreiligen König ein schwerer Vorwurf. Er begann zu ahnen, daß seine Flüche einmal auf ihn selbst zurückfallen würden. Kurz entschlossen brach er den Krieg gegen die Philister ab und kehrte verstimmt und unzufrieden nach Hause zurück. PP 608.3
Wer schnell dabei ist, eigenes Unrecht zu entschuldigen oder zu rechtfertigen, verurteilt andere oft sehr hart. Wie Saul erregen viele Gottes Mißfallen, aber Rat verschmähen sie und Vorwürfe weisen sie zurück. Selbst wenn sie sich davon überzeugen müssen, daß der Herr nicht mit ihnen ist, suchen sie den Grund ihrer Schwierigkeiten nicht bei sich. Stolz und anmaßend erlauben sie sich harte Urteile über andere, die oft besser sind als sie. Wer sich zum Richter aufwirft, täte gut daran, einmal über die Worte Christi nachzudenken: “Mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.” Matthäus 7,2. PP 608.4
Gerade solche Überheblichen kommen manchmal in Lagen, wobei sich ihr wahrer Charakter zeigt. So war es bei Saul. Sein Verhalten überzeugte das Volk, daß ihm königliche Ehre und Autorität mehr bedeuteten als Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Jetzt sahen sie, wie verkehrt es war, die von Gott eingesetzte Regierung zu verwerfen. Sie hatten den gottesfürchtigen Propheten, dessen Fürbitte ihnen Segen brachte, gegen einen König eingetauscht, der ihnen in blindem Eifer hätte fluchen mögen. PP 608.5
Hätten sich Israels Männer nicht für Jonathan eingesetzt, wäre ihr Befreier auf des Königs Befehl umgekommen. Mit welchem Argwohn müssen sie fortan Saul beobachtet haben! Wie bitter mag der Gedanke gewesen sein, daß sie selbst es waren, die ihn auf den Thron gehoben hatten! Der Herr hat lange Geduld mit den eigenwilligen Menschen, und allen gibt er Gelegenheit, ihre Sünden einzusehen und zu lassen. Es mag sogar manchmal scheinen, als begünstige er diejenigen noch, die seinen Willen und seine Warnungen nicht beachten. Aber er wird ihre Torheit ganz gewiß zu seiner Zeit offenbaren. PP 609.1