Saul hatte die Glaubensprobe in der schwierigen Lage bei Gilgal nicht bestanden und den Gottesdienst entweiht. Aber noch konnte er seinen Fehler wiedergutmachen, und der Herr gab ihm Gelegenheit dazu, unbedingten Glauben an sein Wort und Gehorsam gegen seine Befehle zu lernen. PP 610.1
Als der Prophet ihn bei Gilgal tadelte, sah Saul in seinem Unterfangen kein großes Vergehen. Er fühlte sich im Gegenteil ungerecht behandelt und versuchte, sein Tun zu rechtfertigen. Er brachte mancherlei Entschuldigungen für seinen Irrtum vor. Von der Zeit an hatte er nur noch wenig Verbindung mit dem Propheten. Samuel liebte ihn wie seinen eigenen Sohn, und Saul in seiner kühnen, feurigen Art achtete auch den Propheten hoch. Aber er vermerkte Samuels Vorwurf übel und ging ihm fortan so weit wie möglich aus dem Wege. PP 610.2
Doch der Herr sandte seinen Diener mit einer zweiten Botschaft zu Saul. Auch jetzt noch hätte dieser durch Gehorsam und Treue beweisen können, daß er würdig war, Israel vorzustehen. Samuel kam zu ihm und überbrachte ihm das Wort des Herrn. Damit der Monarch den Ernst des Befehles begriff, erklärte ihm Samuel ausdrücklich, daß er in göttlichem Auftrag spreche und im Namen derselben Autorität, die Saul auf den Thron berufen hatte: “So spricht der Herr Zebaoth: Ich habe bedacht, was Amalek Israel angetan und wie es ihm den Weg verlegt hat, als Israel aus Ägypten zog. So zieh nun hin und schlag Amalek und vollstrecke den Bann an ihm und an allem, was es hat; verschone sie nicht, sondern töte Mann und Frau, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.” 1.Samuel 15,2.3. Die Amalekiter waren die ersten, die Israel in der Wüste mit Waffen angriffen. Um dieser Schuld willen, auch weil sie Gott hohnsprachen und entwürdigenden Götzendienst trieben, hatte der Herr schon durch Mose das Urteil über sie angekündigt. Auf göttliche Anweisung wurde ihre Grausamkeit gegenüber Israel mit dem Befehl aufgezeichnet: “So sollst du die Erinnerung an die Amalekiter austilgen unter dem Himmel. Das vergiß nicht!” 5.Mose 25,19. Vierhundert Jahre lang war der Vollzug dieses Urteils hinausgeschoben worden. Aber die Amalekiter bekehrten sich nicht. Der Herr wußte, diese Gottlosen würden, wenn es möglich wäre, sein Volk und dessen Gottesdienst von der Erde vertilgen. Nun war die Zeit gekommen, das so lange hinausgezögerte Urteil zu vollstrecken. PP 610.3
Gottes Langmut läßt die Bösen in ihrer Übertretung nur noch kühner werden. Aber dieses Hinauszögern bedeutet nicht, daß ihre Bestrafung weniger gewiß und furchtbar wäre. “Der Herr wird sich aufmachen wie am Berge Perazim und toben wie im Tal Gibeon, daß er sein Werk vollbringe, aber fremd ist sein Werk, und daß er seine Tat tue, aber seltsam ist seine Tat!” Unser barmherziger Gott möchte nicht strafen. “So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe.” Der Herr ist “barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue ... und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft läßt er niemand”. Gott hat kein Gefallen an der Rache und wird doch die Übertreter seines Gesetzes ins Gericht bringen. Er muß es tun, um die Erdbewohner vor der äußersten Verderbtheit und dem Untergang zu bewahren. Um einige zu retten, muß er die Verstocktesten vertilgen. “Der Herr ist geduldig und von großer Kraft, vor dem niemand unschuldig ist.” Jesaja 28,21; Hesekiel 33,11; 2.Mose 34,6.7; Nahum 1,3. Durch strenge Gerechtigkeit wird er sein mit Füßen getretenes Gesetz schützen. Und gerade sein Zögern spricht für die Ungeheuerlichkeit der Sünden, die seine Strafgerichte herausfordern, und für die Strenge der Vergeltung, die den Übertreter erwartet. PP 611.1
Aber auch wenn Gott Strafe verhängte, war er der Barmherzigkeit eingedenk. Die Amalekiter sollten vernichtet werden, aber die Keniter, die unter ihnen lebten, verschont bleiben. Dieses Volk war zwar nicht ganz frei von Abgötterei, aber sie beteten auch Gott an und waren Israel freundlich gesinnt. Aus diesem Stamme war seinerzeit Moses Schwager Hobab gekommen, der die Israeliten auf ihrer Wüstenwanderung begleitet und ihnen durch seine Kenntnis des Landes wertvolle Dienste geleistet hatte. PP 611.2
Seit der Niederlage der Philister bei Michmas hatte Saul gegen Moab, Ammon und Edom Krieg geführt, auch gegen die Amalekiter und Philister, und wohin er seine Waffen richtete, gewann er neue Siege. Als er den Auftrag gegen die Amalekiter erhielt, ließ er sofort den Kampf ausrufen. Zu seiner eigenen Vollmacht kam noch die des Propheten, und die Männer Israels eilten zu den Waffen. Das Unternehmen diente nicht der Bereicherung; die Israeliten sollten weder Siegesruhm noch Beute von ihren Feinden einheimsen. Das war ein ausschließlich im Gehorsam gegen Gott geführter Krieg, um sein Urteil über die Amalekiter zu vollstrecken. Nach Gottes Absicht sollten alle Völker den Untergang jenes Stammes sehen, der seiner Oberherrschaft getrotzt hatte, und sie sollten darauf merken, daß er gerade von dem Volk vernichtet wurde, das er verachtete. PP 612.1
“Da schlug Saul die Amalekiter von Hewila bis nach Schur, das vor Ägypten liegt, und nahm Agag, den König von Amalek, lebendig gefangen, und an allem Volk vollstreckte er den Bann mit der Schärfe des Schwerts. Aber Saul und das Volk verschonten Agag und die besten Schafe und Rinder und das Mastvieh und die Lämmer und alles, was von Wert war, und sie wollten den Bann daran nicht vollstrecken; was aber nichts taugte und gering war, daran vollstreckten sie den Bann.” 1.Samuel 15,7-9. PP 612.2
Dieser Sieg über die Amalekiter war der glänzendste, den Saul je errungen hatte, und er entfachte seinen Stolz — die größte Gefahr für ihn — aufs neue. Gott hatte seine Feinde zur völligen Vernichtung bestimmt, aber dieser Befehl wurde nur teilweise ausgeführt. Ehrgeizig, wie er nun einmal war, wollte Saul den Triumph der siegreichen Heimkehr noch durch die Anwesenheit eines königlichen Gefangenen steigern. Er ahmte die Sitte der umwohnenden Völker nach und verschonte deshalb Agag, den grausamen, kriegerischen Amalekiterkönig. Das Volk dagegen behielt das beste Vieh aller Art für sich und entschuldigte sein Unrecht mit der Begründung, es sei als Opfer für den Herrn gedacht. Die eigentliche Absicht aber war, diese Tiere als Ersatz zu verwenden, damit man die eigenen sparen konnte. PP 612.3
Das war für Saul die endgültig letzte Bewährungsprobe. Seine anmaßende Mißachtung des göttlichen Willens zeigte seine Entschlossenheit, als unabhängiger Monarch zu herrschen, bewies aber auch, daß man ihn nicht als Stellvertreter des Herrn mit der Königsmacht betrauen konnte. Während Saul und sein Heer im Siegestaumel heimkehrten, gab es im Hause des Propheten Samuel großen Kummer. Er hatte eine Botschaft vom Herrn empfangen, die das Verhalten des Königs brandmarkte: “Es reut mich, daß ich Saul zum König gemacht habe; denn er hat sich von mir abgewandt und meine Befehle nicht erfüllt.” 1.Samuel 15,11. Der Prophet war über die Widerspenstigkeit des Königs betrübt; er weinte und betete die ganze Nacht um Aufhebung des schrecklichen Urteils. PP 612.4
Gottes Reue gleicht nicht der menschlichen: “Auch lügt der nicht, der Israels Ruhm ist, und es gereut ihn nicht; denn er ist nicht ein Mensch, daß ihn etwas gereuen könnte.” 1.Samuel 15,29. Die Reue eines Menschen bedeutet Sinnesänderung, Gottes Reue dagegen Änderung der Umstände und Beziehungen. Man kann sein Verhältnis zu Gott ändern, indem man die Bedingungen erfüllt, die seine Gnade vermitteln, oder sich durch das eigene Verhalten davon ausschließen. Aber der Herr ist “gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit”. Sauls Ungehorsam änderte sein Verhältnis zu Gott. Aber die Bedingungen für die Annahme bei Gott blieben unverändert. Er bleibt derselbe, denn bei ihm “ist keine Veränderung noch Wechsel”. Hebräer 13,8; Jakobus 1,17. PP 613.1
Bekümmert machte sich der Prophet am nächsten Morgen auf, um den vom rechten Wege abgewichenen König zu treffen. Samuel hoffte noch immer, Saul müsse nach reiflicher Überlegung seine Schuld einsehen. Wenn sie ihm leid tat und er sich demütigte, würde er Gottes Gnade auch wieder erlangen. Aber ist einmal der erste unrechte Schritt getan, geht man den nächsten leichter. Durch seinen Ungehorsam schon verdorben, begegnete Saul dem Propheten mit einer Lüge auf den Lippen: “Gesegnet seist du vom Herrn! Ich habe des Herrn Wort erfüllt.” 1.Samuel 15,13. PP 613.2
Die Laute, die an das Ohr des Propheten drangen, straften aber die Worte des ungehorsamen Königs Lügen. Auf die scharfe Frage: “Und was ist das für ein Blöken von Schafen, das zu meinen Ohren kommt, und ein Brüllen von Rindern, das ich höre?” antwortete Saul: “Von den Amalekitern hat man sie gebracht; denn das Volk verschonte die besten Schafe und Rinder, um sie zu opfern dem Herrn, deinem Gott; an dem andern haben wir den Bann vollstreckt.” 1.Samuel 15,14.15. Das Volk hatte nichts anderes getan, als Sauls Anordnungen gehorcht. Aber um sich zu decken, legte er seinen Ungehorsam ihnen zur Last. PP 613.3
Die Ankündigung von Sauls Verwerfung verursachte Samuel unsäglichen Schmerz. Er mußte sie vor dem ganzen Heere ausrichten, das so stolz und voller Siegesfreude über den Erfolg war, den sie der Tapferkeit und Feldherrnkunst ihres Königs zuschrieben. Saul hatte Israels Erfolg in diesem Kampf nicht mit Gott in Verbindung gebracht. Aber als der Prophet sich von Sauls Widersetzlichkeit überzeugen mußte, war er empört, daß der, den Gott so reich begnadete, den Befehl des Himmels übertreten und Israel zur Sünde verführt hatte. Samuel ließ sich durch die Ausflüchte des Königs nicht täuschen. Halb traurig, halb unmutig sagte er: “Halt ein, ich will dir sagen, was der Herr mit mir diese Nacht geredet hat ... Obschon du vor dir selbst gering warst, so bist du doch das Haupt der Stämme Israels; denn der Herr hat dich zum König über Israel gesalbt.” 1.Samuel 15,16.17. Er wiederholte den Befehl des Herrn hinsichtlich Amaleks und verlangte, den Grund für des Königs Ungehorsam zu wissen. Saul blieb bei seiner Rechtfertigung: “Ich habe doch der Stimme des Herrn gehorcht und bin den Weg gezogen, den mich der Herr sandte, und habe Agag, den König von Amalek, hergebracht und an den Amalekitern den Bann vollstreckt. Aber das Volk hat von der Beute genommen Schafe und Rinder, das Beste vom Gebannten, um es dem Herrn, deinem Gott, zu opfern in Gilgal.” 1.Samuel 15,20.21. PP 614.1
Streng und ernst fegte der Prophet die verlogenen Ausreden beiseite und sprach das unwiderrufliche Urteil: “Meinst du, daß der Herr Gefallen habe am Brandopfer und Schlachtopfer gleichwie am Gehorsam gegen die Stimme des Herrn? Siehe, Gehorsam ist besser als Opfer und Aufmerken besser als das Fett von Widdern. Denn Ungehorsam ist Sünde wie Zauberei, und Widerstreben ist wie Abgötterei und Götzendienst. Weil du des Herrn Wort verworfen hast, hat er dich auch verworfen, daß du nicht mehr König seist.” 1.Samuel 15,22.23. PP 614.2
Als der König das hörte, rief er aus: “Ich habe gesündigt, daß ich des Herrn Befehl und deine Worte übertreten habe; denn ich fürchtete das Volk und gehorchte seiner Stimme.” 1.Samuel 15,24. Erschreckt durch die Androhung des Propheten, bekannte Saul nun seine Schuld, die er zuvor so hartnäckig geleugnet hatte. Aber er blieb dabei, alles auf das Volk zu schieben, und behauptete, er habe es aus Furcht vor ihm getan. PP 614.3
Nicht Leid über sein Unrecht, sondern Furcht vor der Strafe trieb den König Israels zu der Bitte an Samuel: “Und nun, vergib mir die Sünde und kehre mit mir um, daß ich den Herrn anbete.” 1.Samuel 15,25. Wäre Sauls Reue echt gewesen, hätte er jetzt ein öffentliches Schuldbekenntnis abgelegt; aber seine größte Sorge war, sein Ansehen zu wahren und sich die Treue des Volkes zu erhalten. Er wollte die Anwesenheit des ehrwürdigen Samuel dazu benutzen, den eigenen Einfluß im Volke zu stärken. PP 614.4
“Ich will nicht mit dir umkehren”, antwortete Samuel ihm, “denn du hast des Herrn Wort verworfen, und der Herr hat dich auch verworfen, daß du nicht mehr König über Israel seist.” Als sich Samuel zum Gehen wandte, ergriff ihn der König in namenloser Angst “bei einem Zipfel seines Rocks; aber der riß ab”. Darauf erklärte ihm der Prophet: “Der Herr hat das Königtum Israels heute von dir gerissen und einem andern gegeben, der besser ist als du.” 1.Samuel 15,26-28. PP 615.1
Saul beunruhigte die Entfremdung von Samuel viel stärker als Gottes Mißfallen. Er wußte, das Volk hatte weit mehr Vertrauen zu dem Propheten als zu ihm. Sollte nun auf Gottes Befehl ein anderer zum König gesalbt werden, wäre es ihm unmöglich, die eigene Autorität aufrechtzuerhalten. Er befürchtete sogar Aufruhr, wenn Samuel ihn gänzlich fallen ließ. Deshalb bat er den Propheten dringend, sein Ansehen vor den Ältesten und dem Volk zu heben, indem sie gemeinsam einen öffentlichen Gottesdienst abhielten. Auf göttliche Weisung gab Samuel der Bitte des Königs nach, damit es keinen Anlaß zu einem Aufstand gäbe. Aber er blieb nur stummer Zeuge. PP 615.2
Noch galt es — so hart und schrecklich das war — ein Urteil zu vollstrecken. Samuel mußte Gottes Ehre öffentlich verteidigen und Sauls Handlungsweise rügen. Er befahl, den König der Amalekiter herbeizubringen. Von allen, die durch das Schwert Israels fielen, war Agag der Schlimmste und Unbarmherzigste, einer, der das Volk Gottes haßte und es zu vernichten suchte und der dem Götzendienst am meisten Vorschub leistete. Auf des Propheten Befehl kam er und dachte, die Todesgefahr sei vorüber. Aber Samuel sagte: “Wie dein Schwert Frauen ihrer Kinder beraubt hat, so soll auch deine Mutter der Kinder beraubt sein unter den Frauen. Und Samuel hieb den Agag in Stücke vor dem Herrn in Gilgal.” 1.Samuel 15,33. Darauf kehrte er nach Rama zurück, und Saul ging nach Gibea. Prophet und König begegneten sich später nur noch einmal. PP 615.3
Als Saul auf den Thron berufen wurde, hatte er eine bescheidene Meinung von sich und seinen Fähigkeiten und war bereit, Lehre anzunehmen. Es fehlte ihm ja an Kenntnissen und Erfahrung, außerdem wies er bedenkliche Charakterfehler auf. Aber der Heilige Geist wurde ihm zum Führer und Helfer, so daß er in seinem Herrscheramt die dafür notwendigen Eigenschaften entwickeln konnte. Hätte er sich dabei jederzeit von der göttlichen Weisheit leiten lassen, hätte er auch den Pflichten seiner hohen Stellung ehrenhaft und erfolgreich nachkommen können. Unter diesem Einfluß überwogen alle guten Eigenschaften in ihm, während die schlechten Neigungen an Einfluß verloren. Das ist Gottes Absicht mit allen, die sich seinem Dienste weihen. Er hat viele zu Ämtern in seinem Werk berufen, weil sie demütig und lernbereit waren. Und in seiner Vorsorge stellt er sie dahin, wo sie Erfahrungen sammeln können. Er läßt sie ihre charakterlichen Schwächen erkennen und hilft allen, die ihn suchen, ihre Mängel abzustellen. PP 615.4
Aber Saul wurde anmaßend in seinem hohen Stand und machte dabei Gott durch Unglauben und Ungehorsam Schande. Wohl war er bei seiner Thronbesteigung bescheiden und ohne jedes Selbstvertrauen, aber der Erfolg machte ihn bald recht selbstsicher. Schon der erste Sieg entfachte diesen nicht ungefährlichen Stolz in ihm. Sein Mut und die bei der Befreiung von Jabesch in Gilead bewiesene Führungsgabe versetzten das ganze Volk in Begeisterung. Sie jubelten ihrem König zu und vergaßen darüber, daß er nur Werkzeug in Gottes Hand war. Und obwohl Saul anfangs Gott die Ehre gab, beanspruchte er später den Ruhm für sich. Er verlor seine Abhängigkeit von ihm ganz aus dem Auge und entfernte sich auch innerlich immer mehr vom Herrn. So war der Weg für das anmaßende und frevelhafte Geschehen bei Gilgal bereitet. Dasselbe blinde Selbstvertrauen ließ ihn Samuels Vorwurf zurückweisen. Saul erkannte in Samuel einen von Gott gesandten Propheten. Deshalb hätte er den Verweis annehmen müssen, selbst wenn er seine Verfehlungen noch nicht einsah. Wäre er dazu und zum Bekenntnis bereit gewesen, hätte ihm diese bittere Erfahrung in der Zukunft helfen können. PP 616.1
Aber der Herr zog sich damals nicht ganz von Saul zurück, sonst würde er nicht abermals durch seinen Propheten zu ihm gesprochen und ihn mit einer bestimmten Aufgabe betraut haben. Er gab ihm die Möglichkeit, die Fehler der Vergangenheit wiedergutzumachen. Befolgt sein angebliches Kind Gottes Willen nur sehr nachlässig und beeinflußt dadurch noch andere zum Schlechten, ist es trotzdem möglich, sein Versagen in Sieg zu verwandeln. Die Voraussetzung ist aber, daß wir Ermahnungen mit aufrichtigem Bedauern annehmen und einsichtig im Glauben zu Gott zurückkehren. Das Demütigende einer Niederlage erweist sich oft als Segen, weil sie uns die eigene Unfähigkeit zeigt, Gottes Willen ohne seine Hilfe zu tun. PP 616.2
Als Saul den Vorwurf zurückwies, der ihn durch Gottes Geist traf, und in eigensinniger Selbstrechtfertigung beharrte, lehnte er das einzige Mittel ab, das ihn noch retten konnte. Er trennte sich freiwillig von Gott. Fortan konnte er keine Hilfe oder Führung mehr von ihm erwarten, es sei denn, er kehrte um und legte ein Sündenbekenntnis ab. PP 617.1
In Gilgal gab sich Saul den Anschein großer Gewissenhaftigkeit, als er vor dem Heer opferte. Aber diese Frömmigkeit war nicht echt. Solcher Dienst gegen Gottes ausdrücklichen Befehl beraubte ihn nur der Hilfe, die Gott ihm bereitwillig gewährt hätte. PP 617.2
Bei seinem Unternehmen gegen Amalek meinte Saul, alles Wesentliche getan zu haben, was der Herr ihm befohlen hatte. Aber Gott war mit teilweisem Gehorsam nicht zufrieden und auch nicht bereit, ein noch so einleuchtend erklärtes Versäumnis zu übersehen. Es steht niemandem zu, von Gottes Forderungen abzuweichen. Er hatte Israel erklärt: “Ihr sollt es nicht so halten ... ein jeder, was ihm recht dünkt”, sondern “sieh zu und höre auf alle diese Worte, die ich dir gebiete”. 5.Mose 12,8.28. In entscheidenden Dingen dürfen wir nicht fragen, ob uns daraus Schaden erwächst, sondern ob sie mit dem Willen Gottes übereinstimmen. “Manchem scheint ein Weg recht; aber zuletzt bringt er ihn zum Tode.” Sprüche 14,12. PP 617.3
“Gehorsam ist besser als Opfer.” Die Sühnopfer an sich waren in Gottes Augen wertlos. Sie sollten aber Reue über die Sünde und Glauben an Christus ausdrücken und den Opfernden zu künftigem Gehorsam gegen Gottes Gesetz verpflichten. Ohne diese Voraussetzung hatte ihre Darbringung keinen Wert. Als Saul in offenem Widerspruch zum göttlichen Gebot gar vorschlug, die zur Vernichtung bestimmten Tiere zu opfern, war das unverhüllte Verachtung der Autorität Gottes, eine Beleidigung für den Himmel. Aber wie viele handeln ähnlich, obwohl sie Sauls Sünde und ihre Folgen kennen! Einerseits glauben sie nicht an gewisse Forderungen Gottes, kommen ihnen also nicht nach, andererseits halten sie an äußerlichen Gottesdienstformen fest. Darauf ruht kein Segen. Mögen sie noch so eifrig alle religiösen Zeremonien befolgen, bei absichtlicher Gesetzesübertretung kann der Herr sie nicht annehmen. PP 617.4
“Ungehorsam ist Sünde wie Zauberei, und Widerstreben ist wie Abgötterei und Götzendienst.” Ursprung alles Bösen ist Satan, und jeder Ungehorsam gegen Gott ist unmittelbar auf seinen Einfluß zurückzuführen. Wer sich gegen Gottes Herrschaft auflehnt, verbündet sich mit dem ersten Abtrünnigen, der seine ganze List und Macht aufbietet, die Sinne gefangenzunehmen und Einsichtige zu täuschen. Er wird alles im falschen Licht erscheinen lassen. Wie unsere ersten Eltern werden manche unter seiner bezaubernden Anziehungskraft nur die großen Vorteile sehen, die sie durch Sündigen erlangen. PP 618.1
Es gibt keinen stärkeren Beweis für Satans verführerischen Einfluß, als daß viele der Selbsttäuschung erliegen, sie stünden im Dienste Gottes. Als sich Korah, Dathan und Abiram gegen Mose empörten, meinten sie, nur gegen einen Menschen anzugehen, und glaubten wirklich, Gott einen Dienst zu erweisen. Aber indem sie den von ihm Erwählten verwarfen, lehnten sie Christus ab; sie schmähten den Geist Gottes. Das gleiche taten zur Zeit Jesu die jüdischen Schriftgelehrten und Ältesten. Sie gaben vor, für Gottes Ehre zu eifern, und — kreuzigten seinen Sohn. Derselbe Geist lebt auch heute noch in denen, die im Gegensatz zum Willen Gottes eigene Wege gehen. PP 618.2
Saul war sich vollkommen darüber klar, daß aus Samuel der Geist Gottes sprach. Wenn er es jetzt wagte, einen durch den Mund des Propheten an ihn ergangenen Befehl Gottes zu mißachten, geschah das wider alle Vernunft. Diese verhängnisvolle Anmaßung kann man nur satanischem Einfluß zuschreiben. Saul hatte sich eifrig um die Beseitigung von Götzendienst und Zauberei bemüht. Aber in seinem Ungehorsam lag derselbe widergöttliche Geist wie in jenen, die Zauberei trieben. Als man ihn deswegen rügte, kam zur Empörung noch Halsstarrigkeit hinzu. Er konnte den Geist Gottes nicht stärker beleidigen, wenn er sich den Götzendienern offen angeschlossen hätte. PP 618.3
Es ist nicht ungefährlich, Mahnungen und Warnungen des Wortes oder Geistes Gottes zu überhören. Manche erliegen wie Saul der Versuchung und erkennen dann das wahre Wesen der Sünde nicht mehr. Sie geben sich der falschen Hoffnung hin, eine gute Absicht zu verfolgen, und sehen in ihrer Abweichung vom Gebot Gottes kein Unrecht. So wehren sie sich gegen den Geist der Gnade, bis sie seine Stimme nicht mehr wahrnehmen und ihren selbsterwählten trügerischen Vorstellungen überlassen bleiben. PP 618.4
Mit Saul hatte Gott dem Volke Israel einen König nach ihrem Herzen gegeben, wie Samuel sagte, als er in Gilgal Sauls Königtum bestätigte: “Nun, da ist euer König, den ihr erwählt und erbeten habt.” 1.Samuel 12,13. Ansehnlich und gut gewachsen, wie er war, stimmten das fürstliche Auftreten und seine Erscheinung ganz mit ihren Vorstellungen von königlicher Würde überein. Dazu kam die persönliche Tapferkeit und Befähigung zum Heerführer; alles Eigenschaften, die ihnen sehr geeignet schienen, Achtung und Ansehen bei andern Völkern zu erwerben. Es kümmerte sie wenig, ob ihr König jene höheren Werte aufwies, die allein dazu befähigen, gerecht und unparteiisch zu regieren. Sie verlangten nach keinem wahrhaft edlen Charakter, der Gott liebte und fürchtete. Fragten sie denn Gott um Rat, welche Eigenschaften ein Herrscher haben müsse, der ihr besonderes, heiliges Gepräge als ein auserwähltes Volk wahrte? Sie suchten nicht Gottes, sondern ihren Weg; deshalb gab Gott ihnen einen König, wie sie ihn sich wünschten, dessen Wesen ihr eigenes widerspiegelte. Sie waren Gott nicht gehorsam, ebensowenig beugte sich ihr König der göttlichen Gnade. Unter der Herrschaft eines solchen Mannes würden sie die notwendigen Erfahrungen machen, daß sie ihren Fehler einsähen und zur Treue gegen Gott zurückkehrten. PP 619.1
Und doch überließ der Herr Saul nicht sich selbst, nachdem er ihm die Verantwortung des Königtums auferlegt hatte. Der Heilige Geist ruhte auf ihm, damit er seine eigene Schwachheit und die Notwendigkeit göttlichen Beistandes erkannte. Hätte sich Saul auf ihn verlassen, wäre Gott mit ihm gewesen. Solange er der Führung des Heiligen Geistes Raum gab, konnte Gott seine Bemühungen mit Erfolg krönen. Aber als Saul es vorzog, selbständig, ohne Gott zu handeln, konnte der Herr nicht länger mit ihm sein; er mußte ihn absetzen. Dann berief er “einen Mann nach seinem Herzen” (1.Samuel 13,14) auf den Thron, keinen charakterlich Fehlerlosen, aber einen, der nicht auf sich, sondern auf Gott vertraute, der sich der Führung des Geistes Gottes überließ und sich zurechtweisen ließ, wenn er gesündigt hatte. PP 619.2