Kapitel 8: Der gottgesandte Lehrer
“Gedenke an ihn.”
“Er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig Vater, Friedefürst.” Jesaja 9,5. In dem von Gott gesandten Lehrer gab der Himmel den Menschen sein Bestes und Größtes. Er, der im Verein mit dem Höchsten zu Rate ging, der im innersten Heiligtum des Allmächtigen geweilt hatte, war dazu erwählt, der Menschheit Gott in Person zu offenbaren.Ez54 67.1
Durch Christus war jeder Strahl göttlichen Lichtes vermittelt worden, der jemals unsere gefallene Welt erreichte. Er war es gewesen, der zu allen Zeiten durch Menschen geredet hatte, die ihren Mitmenschen das Wort Gottes verkündigten. Jeder hervorragende Zug, der an den größten und edelsten Geistern der Erde in Erscheinung trat, spiegelte sein Wesen wider. Reinheit und Menschenfreundlichkeit waren es bei Joseph; Glaube, Sanftmut und große Geduld bei Mose. Elisa wies Standhaftigkeit auf, Daniel Redlichkeit und Festigkeit, Paulus glühenden Eifer und Selbstaufopferung. Kraft des Geistes und des Gemütes offenbarte sich in diesen Männern und in den andern Großen, die jemals über die Erde gingen. Aber all diese Wesenszüge waren nur ein Abglanz der Herrlichkeit Christi. In ihm nur fand man das vollkommene Ideal.Ez54 67.2
Christus kam in die Welt, um dieses Ideal als das einzig erstrebenswerte Ziel zu offenbaren. Er wollte zeigen, was aus jedem menschlichen Wesen werden kann, ja, was aus allen, die ihn annahmen, werden würde, wenn bei ihnen das Göttliche vom Menschlichen Besitz ergriffe. Er kam, um zu zeigen, wie man die Menschen ihrer göttlichen Abstammung gemäß erziehen soll, wie himmlische Grundsätze und himmlisches Leben auf Erden zu verwirklichen sind.Ez54 67.3
Gottes größte Gabe wurde dahingegeben, um der größten Not des Menschen abzuhelfen. Das Licht erschien, als die Dunkelheit der Welt am tiefsten war. Falsche Lehren hatten den Menschengeist lange Zeit von Gott abgewandt. In den herrschenden Erziehungssystemen war irdische Philosophie an die Stelle göttlicher Offenbarung getreten. Statt gottgegebenen Wahrheitssätzen waren die Menschen ihrem eigenen Denken gefolgt. Sie hatten sich vom Licht des Lebens abgekehrt, um in dem spärlichen Schein des Feuers zu wandeln, das sie selbst entzündet hatten.Ez54 67.4
Da sie sich von Gott getrennt und ihr Vertrauen nur auf menschliche Macht gesetzt hatten, verbarg sich unter ihrer Stärke nichts als Schwäche. Sie waren nicht einmal dazu imstande, das selbst aufgestellte Ideal zu erreichen. Den Mangel an wirklicher Größe suchte man durch Äußerlichkeiten und Protzentum wettzumachen. Der Schein trat an die Stelle des Echten.Ez54 68.1
Von Zeit zu Zeit standen Lehrer auf, die die Menschen auf den Urquell der Wahrheit hinwiesen. Es wurden zutreffende Grundsätze ausgesprochen, und die Lebensführung mancher Menschen zeugte von ihrer Kraft. Aber diese Bemühungen hinterließen keinen bleibenden Eindruck. Sie geboten dem Strom des Verderbens einen kurzen Einhalt, brachten aber seinen abschüssigen Lauf nicht zum Stehen. Die Reformatoren waren Lichtern gleich, die zwar in der Dunkelheit schienen, aber die Finsternis nicht vertreiben konnten. Die Welt liebte “die Finsternis mehr als das Licht”. Johannes 3,19.Ez54 68.2
Als Christus auf die Erde kam, schien die Menschheit ihrem Tiefpunkt entgegenzueilen. Selbst die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft waren unterhöhlt. Das Leben war in Verkehrtheit und Unnatur ausgeartet.Ez54 68.3
Die Juden, denen die Kraft des Wortes Gottes abging, vermittelten der Welt geisttötende, seelenlose Überlieferungen und Theorien. Die Anbetung Gottes “im Geist und in der Wahrheit” war durch Menschenverherrlichung ersetzt worden, die in einer endlosen Runde selbstgeschaffener Zeremonien ihren Ausdruck fand. In der ganzen Welt büßten die religiösen Systeme ihre Wirkung auf Geist und Gemüt ein. Angewidert von Lüge und Irrtum suchten die Menschen ihr Denken zu betäuben und wandten sich dem Unglauben und dem Materialismus zu. Sie ließen die Ewigkeit außer Betracht und lebten für die Gegenwart.Ez54 68.4
Da sie dem Göttlichen keine Anerkennung mehr zollten, hörten sie auch auf, die Menschenwürde zu achten. Wahrhaftigkeit, Ehrgefühl, Lauterkeit, Vertrauen und Mitleid schwanden zusehends von der Erde. Hemmungslose Gier und verzehrender Ehrgeiz riefen ein Mißtrauen aller gegen alle hervor. Die Begriffe der Pflicht, der Menschenwürde und des Menschenrechts, das Empfinden für die Verpflichtung des Starken gegenüber dem Schwachen verwies man ins Reich der Träume und Fabeln. Das gewöhnliche Volk wurde wie ein Lasttier geachtet, oder man sah es als Werkzeug und Sprungbrett für ehrgeizige Pläne an. Reichtum und Macht, Bequemlichkeit und Genuß wurden als höchste Güter erstrebt. Körperliche Entartung, geistige Erstarrung und geistlicher Tod kennzeichneten das Zeitalter.Ez54 69.1
Da die schlimmen Leidenschaften und Absichten der Menschen den Höchsten aus ihrem Denken verbannten, neigten sie sich in ihrer Gottvergessenheit nur noch stärker dem Bösen zu. Das der Sünde ergebene Herz legte der Gottheit die eigenen Wesenszüge bei, und die so gewonnene Vorstellung verlieh der Sünde noch größere Macht. Bei ihrem Hang zur Selbstgefälligkeit kamen die Menschen schließlich dahin, Gott als einen ihresgleichen zu betrachten als ein Wesen, dessen Ziel Selbstverherrlichung war, dessen Forderungen eigener Lust dienten ein Wesen, das die Menschen erhob oder zu Boden warf, je nachdem sie für seine selbstischen Zwecke eine Hilfe oder ein Hindernis darstellten. Die unteren Volksschichten betrachteten den Allerhöchsten als einen Herrn, der sich kaum von ihren Bedrückern unterschied, nur daß er sie an Macht übertraf. Durch diese Vorstellungen wurden sämtliche Religionsformen geprägt. Jede einzelne stellte ein erpresserisches System dar. Mit Geschenken und Zeremonien suchten die Verehrer die Gottheit zu befriedigen, um sich ihre Gunst für eigene Zwecke zu sichern. Eine solche Religion, die keinen Einfluß auf Herz oder Gewissen ausübte, konnte nur eine monotone Aufeinanderfolge leerer Formen sein, deren die Menschen überdrüssig waren, und von denen sie, abgesehen von einem möglichen Gewinn, gerne frei geworden wären. So nahm das Übel ungebändigt an Stärke zu, während die Wertschätzung des Guten und die Sehnsucht danach immer mehr dahinschwanden. Die Menschen büßten ihre Gottebenbildlichkeit ein und wurden von der dämonischen Macht, die sie beherrschte, geprägt. Die ganze Welt war im Begriff, sich in einen Pfuhl des Verderbens zu verwandeln.Ez54 69.2
Es gab nur eine Hoffnung für das menschliche Geschlecht: daß in diese Masse von widerstreitenden und fäulniserregenden Elementen ein neuer Sauerteig geworfen wurde, daß jemand der Menschheit die Kraft zu einem neuen Leben brachte und daß die Erkenntnis Gottes der Welt wiedergeschenkt wurde.Ez54 70.1
Christus kam, um diese Erkenntnis zu erneuern. Er erschien, um die Irrlehren derer zu beseitigen, die Gott angeblich kannten, ihn aber in Wirklichkeit falsch dargestellt hatten. Er kam, um die Eigenart seines Gesetzes kundzutun, um die Schönheit heiligen Wesens in seinem eigenen Charakter zu offenbaren.Ez54 70.2
Christus ging mit dem Liebesreichtum der Ewigkeit in unsere Welt ein. Er räumte mit den ungebührlichen Forderungen auf, die das Gesetz Gottes zur Last gemacht hatten, und zeigte, daß es ein Gesetz der Liebe, ein Ausdruck göttlicher Güte ist. Er legte dar, daß im Gehorsam gegen seine Richtlinien das Glück der Menschheit, damit aber auch der sichere Bestand, die Wohlgegründetheit und der feste Halt der menschlichen Gesellschaft beschlossen liegt.Ez54 70.3
Gottes Gesetz ist also weit davon entfernt, willkürliche Forderungen zu erheben. Als Zaun, als Schild ist es dem Menschen gegeben. Wer seine Grundsätze annimmt, bleibt vor dem Bösen bewahrt. Treue zu Gott schließt auch Treue zu Menschen in sich. So gewährleistet das Gesetz die Rechte, den Eigenwert jedes menschlichen Wesens. Es hindert den Höhergestellten an der Ausübung von Druck und hält den Untergebenen vom Ungehorsam zurück. Es sichert das Wohlergehen des Menschen für diese und für die zukünftige Welt. Für den Gehorsamen bildet es das Unterpfand ewigen Lebens, denn es offenbart die Grundsätze, die für immer bestehen.Ez54 70.4
Christus kam, um den Wert der göttlichen Grundsätze dadurch sinnfällig zu machen, daß er ihre menschheitserneuernde Kraft offenbarte. Er kam, um zu lehren, wie diese Prinzipien entwickelt und angewandt werden sollen.Ez54 71.1
Die Menschen jener Zeit bewerteten alle Dinge nach dem Scheine. Da die Religion an Kraft eingebüßt hatte, war sie an Gepränge reicher geworden. Die Erzieher jener Tage suchten sich durch Pomp und äußerliches Gebaren Achtung zu verschaffen. Zu all dem bildete das Leben Jesu einen ausgesprochenen Gegensatz. Seine Haltung offenbarte die Wertlosigkeit jener Dinge, die die Menschen als das Wichtigste im Leben betrachteten. Er war in primitivster Umgebung geboren, teilte das Haus und die Kost eines Landmanns, den Beruf eines Handwerkers und lebte ein unbeachtetes Dasein, stellte sich also den vielen mühevoll Schaffenden dieser Welt gleich. Inmitten solcher Verhältnisse, in dieser Umwelt folgte Jesus dem göttlichen Erziehungsplan. Nach den Schulen seiner Zeit, die kleine Dinge vergrößerten und das Große verkleinerten, fragte er nicht. Seine Bildung floß ihm unmittelbar aus den vom Himmel verordneten Quellen zu: aus nützlicher Arbeit, aus dem Studium der Schrift und der Natur, aus den Erfahrungen des Lebens - also aus den Unterrichtsbüchern Gottes, die jedem Menschen, der sich ihnen mit williger Hand, mit sehenden Augen und mit verständigem Herzen naht, eine Fülle der Belehrung bieten.Ez54 71.2
“Aber das Kind wuchs und ward stark im Geist, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm.” Lukas 2,40.Ez54 71.3
So vorbereitet machte er sich an die Erfüllung seiner Aufgabe, und immer, wenn er mit Menschen in Berührung kam, ging von ihm ein solch segensreicher Einfluß, eine solche umwandelnde Kraft aus, wie sie die Welt noch nie verspürt hatte.Ez54 71.4
Wer in der menschlichen Natur einen Wandel schaffen will, muß sie verstehen. Nur durch Mitgefühl, Glauben und Liebe kann man die Menschen erreichen und emporziehen. Hier offenbart sich Christus als der Meistererzieher. Von allen, die je auf Erden lebten, versteht er allein die menschliche Seele vollkommen.Ez54 72.1
“Wir haben” als großen Lehrmeister (denn die Priester waren Lehrer) “nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleid haben mit unsern Schwachheiten, sondern der versucht ist allenthalben gleichwie wir.” Hebräer 4,15.Ez54 72.2
“Denn worin er gelitten hat und versucht ist, kann er helfen denen, die versucht werden.” Hebräer 2,18.Ez54 72.3
Nur Christus kannte all die Kümmernisse und Anfechtungen, von denen menschliche Wesen heimgesucht werden, aus Erfahrung. Nie wurde einer, der vom Weibe geboren war, so heftig von der Versuchung bedrängt, nie trug einer so schwer an der Sünden und Schmerzenslast der Welt. Keinen hat es gegeben, dessen Mitgefühl so zart und so groß war. Er, der alles Menschliche miterlebte, konnte nicht nur für, sondern mit jedem einzelnen empfinden, der Lasten trug, der versucht war und einen Kampf führte.Ez54 72.4
Was er lehrte, lebte er auch aus. “Ein Beispiel habe ich euch gegeben”, sagte er zu seinen Jüngern, “daß ihr tut, wie ich euch getan habe”, “gleichwie ich meines Vaters Gebote halte”. Johannes 13,15; Johannes 15,10. So wurden Christi Worte durch seinen Wandel beispielhaft erläutert und bekräftigt. Und mehr als dies: Er verkörperte, was er lehrte. In seinen Worten drückte sich nicht nur die eigene Lebenserfahrung, sondern auch der eigene Charakter aus. Er lehrte nicht nur die Wahrheit, er stellte sie auch in Person dar. Das war es, was seiner Lehre Kraft verlieh.Ez54 72.5
Christus pflegte gewissenhaft Rügen zu erteilen. Nie hat ein Mensch gelebt, der das Böse so haßte, nie einer, der es so furchtlos beim Namen nannte. Für alles Unwahre und Gemeine war schon seine bloße Gegenwart ein Vorwurf. Im Lichte seiner Reinheit sahen die Menschen ihre eigene Unreinheit und das Niedrige, das Unwahre an der Zielsetzung ihres Lebens. Und doch zog er sie an. Er, der den Menschen erschaffen hatte, wußte um den Wert der menschlichen Natur. Das Böse bezeichnete er anklagend als den Feind derer, die er segnen und erretten wollte. Er erblickte in jedem noch so tief gefallenen menschlichen Wesen ein Kind Gottes, das wieder in die Rechte seiner göttlichen Herkunft eingesetzt werden konnte.Ez54 72.6
“Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde.” Johannes 3,17.Ez54 73.1
Christus sah den Menschen in seinem Leid, in seiner Erniedrigung an und fand Grund zur Hoffnung, wo sich anscheinend nur Verzweiflung und Zerrüttung zeigten. Wo ein Gefühl für den eigenen Mangel vorhanden war, sah er Gelegenheit zur Abhilfe. Angefochtenen, zerschlagenen Herzen, die sich verloren und zum Untergang bestimmt fühlten, begegnete er nicht anklagend, sondern segenspendend.Ez54 73.2
Die Seligpreisungen waren sein Gruß an die gesamte menschliche Familie. Während er auf die große Menge blickte, die sich versammelt hatte, um der Bergpredigt zu lauschen, schien er für den Augenblick vergessen zu haben, daß er nicht im Himmel weilte, und bediente sich der vertrauten Grußform der Welt des Lichtes. Von seinen Lippen flossen Segensworte wie die neu hervorströmenden Wasser lange versiegter Quellen.Ez54 73.3
Indem er sich von den ehrgeizigen, selbstzufriedenen Günstlingen dieser Welt abwandte, verkündete er, daß die selig zu preisen seien, die sein Licht und seine Liebe annahmen, wie groß auch immer ihr Bedürfnis sein mochte. Den geistlich Armen, den Leidtragenden, den Verfolgten streckte er seine Arme entgegen und sprach: “Kommet her zu mir ... ich will euch erquicken.” Matthäus 11,28.Ez54 73.4
In jedem menschlichen Wesen entdeckte er unbegrenzte Möglichkeiten. Er sah die Menschen so, wie sie sein könnten, wenn sie durch seine Gnade umgewandelt würden, in “der Schönheit des Herrn, unseres Gottes”. Psalm 90,17 (eng. Übersetzung). Indem er voller Hoffnung auf sie blickte, entzündete er auch ihre Hoffnung. Indem er ihnen mit Vertrauen entgegenkam, flößte er auch ihnen Vertrauen ein. Da er in sich das wahre Menschenideal verkörperte, weckte er in ihnen den Wunsch und den Glauben, es zu erreichen. In seiner Gegenwart erkannten verachtete und gefallene Seelen, daß sie doch noch Menschen waren. Sie verlangte danach, sich seiner Achtung würdig zu erweisen. In so manchem Gemüt, das allem Heiligen abgestorben schien, wurden neue Regungen wach. So mancher Verzweifelte erblickte den Weg zu neuem Leben.Ez54 73.5
Christus fesselte die Menschen durch die Bande der Liebe und Ergebenheit an sich und schmiedete sie gleichzeitig durch dieselben Bande an ihre Mitbrüder. Bei ihm machte die Liebe das Leben aus, und das Leben bestand im Dienst. “Umsonst habt ihr’s empfangen”, sagte er, “umsonst gebt es auch.” Matthäus 10,8.Ez54 74.1
Nicht nur am Kreuz opferte sich Christus für die Menschheit. “Der umhergezogen ist und hat wohlgetan” (Apostelgeschichte 10,38), verströmte im Alltagswirken sein Leben. Nur auf eine Art konnte solch ein Dasein aufrechterhalten werden. Jesus verließ sich völlig auf Gott und lebte in der Gemeinschaft mit ihm. Auch Menschen wenden sich dann und wann zum Throne des Allerhöchsten, nehmen unter dem Schatten des Allmächtigen Zuflucht. Sie verweilen dort für eine gewisse Zeit, und aus dieser Begegnung erwachsen edle Taten. Später aber versagt ihr Glaube, die Verbindung reißt ab, und das Lebenswerk ist verpfuscht. Aber das Dasein Jesu war ein Leben beständigen Vertrauens, das durch ununterbrochene Gemeinschaft genährt wurde, und in seinem Dienst für Himmel und Erde wankte und versagte er nicht.Ez54 74.2
Als Mensch nahte er sich Gottes Thron mit Flehen, bis seine irdische Natur von einem himmlischen Kraftstrom durchflutet war, der das Menschliche mit dem Göttlichen verband. Er empfing Leben aus Gott und gab es an die Menschen weiter.Ez54 74.3
“Es hat nie ein Mensch also geredet wie dieser Mensch.” Johannes 7,46. Das träfe auch auf Christus zu, wenn er nur in bezug auf die Welt der Dinge und Gedanken oder ausschließlich in Sachen der Theorie und Spekulation Lehren erteilt hätte. Er hätte Geheimnisse enthüllen können, für deren Ergründung Jahrhunderte mühevollen Studiums erforderlich waren. Er hätte auf wissenschaftlichem Gebiet Hinweise geben können, die bis zum Ende der Zeiten zum Denken angeregt und zu Erfindungen Anstoß gegeben hätten. Aber er tat dies nicht. Er sagte nichts, um die Neugierde zu befriedigen oder den selbstsüchtigen Ehrgeiz anzustacheln. Er befaßte sich nicht mit abstrakten Theorien, sondern mit dem, was für die Entwicklung des Charakters wesentlich ist, was den Menschen noch mehr zur Gotteserkenntnis befähigt und seine Kraft zu guten Taten vermehrt. Er sprach über die Wahrheiten, die sich auf die Lebensführung beziehen und den Menschen mit dem Ewigen verbinden.Ez54 74.4
Statt die Leute auf das Studium menschlicher Theorien über Gott, sein Wort oder seine Werke hinzulenken, lehrte er sie, ihn so zu sehen, wie er sich in seinen Werken, in seinem Wort und in seiner Vorsehung offenbarte. Er brachte ihr Denken mit dem Geist des Unendlichen in Berührung.Ez54 75.1
Die Leute “verwunderten sich seiner Lehre; denn seine Rede war gewaltig”. Lukas 4,32. Nie zuvor hatte jemand gesprochen, der solche Macht besaß, das Denken wachzurütteln, ein edles Streben zu entfachen und alle körperlichen, geistigen und seelischen Fähigkeiten aufzuschließen.Ez54 75.2
Die Lehre Christi war weltumspannend wie sein Mitgefühl. Unmöglich kann es einen Lebensumstand, eine Krise im Menschendasein geben, die nicht in seinen Reden vorweggenommen sind, für den seine richtungweisenden Gedanken nicht eine Lehre enthalten.Ez54 75.3
Da er der höchste Lehrer ist, werden seine Worte bis zum Ende der Zeiten eine Richtschnur für seine Mitarbeiter darstellen.Ez54 75.4
Für ihn fielen Gegenwart und Zukunft, Nahes und Fernes in eins zusammen. Er sah die Nöte der gesamten Menschheit vor sich. Vor seinem geistigen Auge entfaltete sich jede Szene menschlichen Mühens und Vollendens, menschlichen Versucht- und Bedrängtseins, menschlicher Verlegenheit und Gefahr. Er wußte um alle Herzen, um alle Heime, um alle Vergnügungen, Freuden und Bestrebungen.Ez54 75.5
Er sprach nicht nur für die gesamte Menschheit, sondern auch zu ihr. An das kleine Kind, das sich seines Lebensmorgens freute, an das daseinsfreudige, ruhelose Herz der Jugend, an die Männer im kraftvollsten Alter, die die Last der Sorge und Verantwortung trugen, an die Bejahrten in ihrer Schwachheit und Müdigkeit, an alle war seine Botschaft gerichtet. Jedes Menschenkind in allen Landen und zu jeder Zeit war gemeint.Ez54 75.6
Was er lehrte, umspannte die zeitlichen und die ewigen Dinge, die Beziehung des Sichtbaren zum Unsichtbaren, die flüchtigen Geschehnisse des Alltags und die feierlichen Entscheidungen des zukünftigen Lebens.Ez54 76.1
Den Dingen dieser Welt wies er ihren wahren Platz zu, indem er sie den Ewigkeitswerten unterordnete, verkannte aber nicht ihre Bedeutung. Er lehrte, daß Himmel und Erde zusammenhängen und daß eine Kenntnis der göttlichen Wahrheit den Menschen zur besseren Erfüllung seiner täglichen Pflichten befähigt. Für ihn war nichts ohne Sinn. Das Spiel des Kindes, die Arbeit des Mannes, die Freuden, Sorgen und Schmerzen des Lebens, alles diente dem einen Zweck: der Offenbarung Gottes zum Heile der Menschheit.Ez54 76.2
Das Wort Gottes, wie es von seinen Lippen kam, traf die Herzen mit neuer Kraft und vertiefter Bedeutung. Seine Lehren warfen auf das Schöpfungsgeschehen ein neues Licht. Auf dem Antlitz der Natur ruhte wieder der Schimmer jener Herrlichkeit, den die Sünde verbannt hatte. Jede Tatsache und jede Erfahrung des Lebens enthielt eine göttliche Lehre und wies auf die Möglichkeit der Gemeinschaft mit Gott hin. Wieder wohnte der Höchste auf Erden, und menschlichen Herzen kam seine Gegenwart zu Bewußtsein. Er umfaßte die Welt mit seinen Liebesarmen. Der Himmel neigte sich zu den Menschen herab, und sie gaben in Christus dem die Ehre, der ihnen das Wissen um die ewigen Dinge erschlossen hatte “Immanuel, Gott mit uns.”Ez54 76.3
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Alles echte erzieherische Wirken gründet in dem gottgesandten Lehrer. Der Heiland meinte ebenso gewiß das Erziehungswerk unserer wie seiner Tage, als er die Aussprüche tat: “Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige.” “Ich bin das A und O, der Anfang und das Ende.” Offenbarung 1,17.18; Offenbarung 21,6.Ez54 76.4
Was ist törichter, als beim Vorhandensein eines solchen Lehrers, einer solchen Gelegenheit zu gottgewirkter Erziehung, nach einer Ausbildung ohne ihn auszuschauen? Hieße das nicht: weise sein zu wollen unter Ausschluß der Weisheit? Wahrhaftigkeit zu erstreben, obschon man die Wahrheit verschmäht? Dort nach Erleuchtung zu suchen, wo das Licht fehlt? Ein Dasein zu wünschen ohne den, der das Leben ist? Sich von der Quelle des lebendigen Wassers abzuwenden und löchrige Brunnen auszuhauen, die doch kein Wasser geben?Ez54 77.1
Siehe, noch immer ergeht seine Einladung: “Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen.” “Das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.” Johannes 7,37.38; Johannes 4,14.Ez54 77.2